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N° 1353
13. - 24.04.2024

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am 20.04.2024



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Musikalischer Jungbrunnen: Georges Prêtre (c) alchetron.com

Pasticcio

Halbmast in Paris und Wien

Es gibt einen Schnappschuss aus dem Wiener Musikvereinsaal anno 2010, auf dem Georges Prêtre in einer für ihn typischen Haltung zu sehen ist. Mit einem leicht verschmitzten Lächeln winkt er ins Neujahrskonzert-Publikum. Und mit seinen damals immerhin schon 85 Jahren wirkt er wie ein dem Jungbrunnen entstiegener Grandseigneur. Oder wie es jetzt einer seiner unzähligen österreichischen Fans gepostet hat, anlässlich der traurigen Nachricht, dass der französische Dirigent im Alter von 92 Jahren gestorben ist: „Georges Prêtres Gesicht beim Dirigieren zu beobachten war wie ein Beweis: Musik kennt kein Alter, Musik macht glücklich.“
2010 war Prêtre nach 2008 zum zweiten Mal eingeladen worden, mit den Wiener Philharmonikern das traditionelle Neujahrskonzerts zu zelebrieren. Und für ihn war es einmal mehr wie eine Rückkehr in seine zweite Heimat. Denn Prêtre empfand sich stets als „Wiener“. Und tatsächlich passten die Wiener Orchester, das Publikum und eben Monsieur seit dessen Debüt 1962 zusammen – als er auf Einladung von Herbert von Karajan die Gelegenheit bekommen hatte, „Capriccio“ von Richard Strauss an der Wiener Staatsoper zu dirigieren. Seitdem war der aus einem kleinen nordfranzösischen Städtchen stammende Prêtre nicht nur regelmäßiger Gast an der Donau. Zwischen 1986 und 1991 übernahm er die Leitung der Wiener Symphoniker und besiegelte damit endgültig seine innige Beziehung mit der Musikstadt Wien.
Sein Gespür fürs Leichte und Elegante, aber auch fürs Dramatische und Tragische hatten Prêtre zu einem der gefragtesten Dirigenten gemacht. Und besonders in der Oper sollte er immer wieder für Glanzstunden sorgen. Er dirigierte von New York bis Paris und Mailand an allen großen Häusern. 1958 begann die enge künstlerische Freundschaft mit Maria Callas, die Prêtre als einen ihrer Lieblingsdirigenten bezeichnete.
Wenngleich er im Laufe seiner über 60-jährigen Karriere weltweit unterwegs war, bekam er wohl nie das Angebot, längerfristig mit einem Weltklasseorchester zusammenzuarbeiten. Und sieht man einmal von den Aufnahmen mit der Callas ab, erscheint einem sein diskografisches Erbe angesichts der lange unverwüstlichen Konstitution eher unspektakulär. Immerhin ragt die Einspielung von Francis Poulencs Oper „La voix humaine“ heraus, die er uraufgeführt hatte. Und auch seine Aufnahmen des französischen Repertoires – darunter der gar nicht so handzahm geratene „Valse“ von Ravel – sind klingende Erinnerungsstücke von großem bleibendem Wert.

Guido Fischer



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