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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Perspektivwechsel: Im Wiener Konzerthaus steht das Publikum im Fokus (c) Lukas Beck/WKH

Wiener Konzerthaus

Die Perle

Dieser Musentempel ist die wohl meistübersehene Weltberühmtheit von Wien. Dabei ist er mit erweitertem Programm nahbarer denn je.

Dieser schöne Jugendstilbau wäre in absolut jeder Stadt der Welt der beste Konzertsaal überhaupt – außer in Wien! Denn dort gibt es ja einen Steinwurf entfernt leider noch den goldenen Musikvereinssaal, dessen Prominenz durch das jährliche Neujahrskonzert nicht zu toppen ist. Dumm gelaufen für das Konzerthaus.
Ändert nichts daran, dass viele Musiker das Konzerthaus für den sogar besseren, im Falle großer Besetzungen, für Recitals und Vokal-Darbietungen überlegenen Saal halten. Es stimmt auch. Und dass der Kammermusiksaal, genannt „Mozart-Saal“, einer der besten Aufführungsorte für Streichquartette überhaupt ist – und jedenfalls der beste in Wien –, das lässt sich ohnehin nicht bestreiten.
Weiß das auch alle Welt? Als vor drei Jahren der Wiener Kulturmanager Matthias Naske die Leitung des Hauses übernahm, fiel er sogleich mit der Alarm-Tür ins Haus: „Das Wiener Konzerthaus ist bankrott!“ So verkündete er angesichts eines Schuldenbergs von 6,4 Millionen Euro. Und wunderte sich, dass ihm daraufhin niemand Hilfe anbot. „Mit dem Wort ,bankrott’ habe ich einen Fehler gemacht“, räumt er heute ein. Sein Vertrag wurde indes bis 2023 verlängert; wohl weil man sah, dass Naske länger brauchen wird, um das Haus wachzuküssen und ihm das internationale Renommee zu geben, das ihm gebührt.
Schon Karl Kraus’ berühmte Vorlesungen fanden hier statt. Das Haus spielte eine Hauptrolle in Michael Hanekes Jelinek-Verfilmung „Die Klavierspielerin“ (mit Isabelle Huppert). Die Wiener Philharmoniker spielen hier ebenso viele Programme wie im Musikverein. Trotzdem handelt es sich – in Sichtweite der Ring- Straße und direkt neben dem Akademietheater – um die touristisch meistübersehene Weltberühmtheit von Wien.
Die nun aber endlich wieder im Aufwind ist: Mit neuen Konzertformaten („Gemischter Satz“, „Fridays@7“ mit Aftershow-Programm), mit verbessertem Vermittlungsservice, neuer Autonomie für die Wiener Symphoniker und Veranstaltungs-Events wie der synchronen, sich überlappenden Aufführung aller Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch hat Naske den Zuspruch beim Publikum großartig gesteigert. Eine Jugendmitgliedschaft erlaubt es, für 12 bis 13 Euro ins Konzert zu gehen. Um die Konkurrenz zwischen Eigenveranstaltungen und Fremdvermietung aufzuheben, wurde das Direktorium erweitert. Mit dem Ergebnis, dass man 2015 den höchsten Jahresumsatz in der Geschichte des Hauses vermelden konnte.
Dabei gelingen Naske tatsächliche Coups. Den griechischrussischen Dirigier-Guru Teodor Currentzis überredete er, in Gestalt der Wiener Symphoniker erstmals ein traditionelles, herkömmliches Orchester zu dirigieren (12./13.1.). Die sind, seitdem sie unter Philippe Jordan ihre Programme selbst bestimmen dürfen, viel besser geworden. Mit „Wien modern“ hat man der zeitgenössischen Musik wieder eine institutionelle Heimat gegeben. Und auch für Alte Musik ist das Konzerthaus weit geeigneter als der Wiener Musikverein. Dass man aufgrund von Jazz-Konzerten und Heurigenmusik niederschwelliger an sein Publikum herankommt als die hochmögenden Nachbarn, versteht sich.

Egal ob Chicago, Amsterdam, Moskau oder Perm: Nach Wien wollen sie alle.

Wer auf die Musikstadt Wien schaut, den frappiert als erstes die Vielzahl an glamourösen, teuren Orchestergastspielen. Egal ob Chicago, Amsterdam, Moskau oder Perm: Nach Wien wollen sie alle. Nicht etwa, weil man damit Geld verdienen kann; dazu sind solche Gastspiele in der Organisation zu teuer und die Honorare (auch in Wien) zu klein. Doch in vollen Häusern kann man hier mit einem begeisterten und kennerischen Publikum rechnen. In Wien galt immer: Nur was hier stattfindet, zählt. Wer was wert ist, den laden wir zu uns ein. Deswegen spiegeln sich die meisten Strömungen der Musikwelt im Wiener Musikgeschehen immer noch wie in einem Brennglas.
Erstaunlich, wie wenig Geld sich Österreich das kosten lässt. Als privater Verein erwirtschaftet das Konzerthaus 55,2% seines Budgets aus eigenem Kartenverkauf. Nur 12,8% öffentlicher Subventionen (bei einem Umsatzvolumen von 18,5 Millionen), das sind Zahlenspiele, aus denen sich ein erstaunlicher Wirtschaftsfaktor der Musik in Österreich ergibt. Schöne Verhältnisse. Sie haben allerdings dazu geführt, dass viele Kulturinstitutionen von der öffentlichen Hand für gesichert gehalten werden. Was leider ein Irrtum ist.
Die – zurzeit aufgehaltene – Krise des Konzerthauses etwa (die Schulden wurden in ein zinsloses Darlehen umgewandelt) ist symptomatisch. Von Salzburg über Innsbruck, von Bad Ischl bis nach St. Margarethen befinden sich die meisten Musikfestivals in Österreich in einer höchst prekären Situation. Man muss nur an die Salzburger Festspiele denken, die hauptsächlich aus Koproduktionen bestehen, um die schleichende Erosion der Kulturlandschaft wahrzunehmen. Das Wiener Konzerthaus hat sich souverän am eigenen Kragen aus dem Sumpf gezogen. Und erstrahlt, während hinter den Kulissen kräftig dafür gestrampelt wird, wieder in altem Glanz. Als die musikalische Jugendstil-Perle von Wien.

www.konzerthaus.at

Und was gibt’s demnächst?

Die Wiener Symphoniker werden im Konzerthaus derzeit dirigiert von Giovanni Antonini (25./26.11.), Ingo Metzmacher (8., 11.12.), Krzystof Urbánski (31.12.), Teodor Currentzis (s. o.), Wayne Marshall (2./3.2.) und Chef Philippe Jordan (20./21.12.). Die Wiener Philharmoniker gastieren mit Tugan Sokhiev (6.12.). Als Solisten zeigen sich Joyce DiDonato (24.11.) und Grigori Sokolov (7.12.). Es gastieren die Londoner Philharmoniker mit Vladimir Jurowski (19.12.), die Academy of St Martin in the Fields und Joshua Bell (11.1.) sowie das Amsterdam Baroque Orchestra unter Ton Koopman (21.1.). Im Mozart-Saal präsentieren sich das Hagen-Quartett (2.12.), das Jerusalem Quartet (4.12., mit András Schiff) u. a.

Robert Fraunholzer, 10.12.2016, RONDO Ausgabe 6 / 2016



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