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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Susann Hehnen

Matthias Grünert

Typisch Haydn

Der Dresdner Frauenkirchen-Kantor Matthias Grünert hat Haydns „Harmoniemesse“ aufgenommen – und mit dessen 101. Sinfonie gekoppelt.

RONDO: Sie beschäftigen sich schon lange mit den Messen von Haydn. Was reizt Sie an dessen Klangsprache?

Matthias Grünert: Tatsächlich führe ich seit der Weihe der Frauenkirche 2005 mit meinen Ensembles regelmäßig die Messen von Joseph Haydn auf. Der Kosmos seiner Tonsprache übt nicht nur auf mich als Dirigent, sondern auch auf die Ausführenden eine unbeschreibliche Faszination aus. Ich könnte unzählige Attribute der Musik Haydns zuschreiben: tiefsinniger Humor, augenzwinkernder Geist, meisterhafte Kontrapunkt, musikantische Raffinesse, musikalische Ideen im Übermaß …

RONDO: Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts verwandelten sich Haydns Messen bei den Verlagen quasi in Ladenhüter. Wie würden Sie dagegen die Wertschätzung seiner Kirchenwerke im 21. Jahrhundert sehen?

Grünert: Vermutlich ist es der lange Schatten der schon immer populären „Schöpfung“, der sich über alle anderen Kirchenmusiken Haydns legt. Ich beobachte schon eine leichte Zurückhaltung der Kirchenmusiker, Haydns Messen in die Liturgie zu integrieren – aber zugegeben: Der Umfang der Messen ist eben oft auch ein wenig zu lang für einen einstündigen Gottesdienst. Und die Schwierigkeiten der Kompositionen liegen im Detail – für alle beteiligten Musiker und Choristen. Dennoch sind es die anrührendsten Messvertonungen, die es gibt. Haydn müsste zum festen Bestandteil für jedes Orchester und für jeden Chor werden – im Konzert ebenso wie im Gottesdienst! Das Publikum wird begeistert sein.

RONDO: Sie haben jetzt die sogenannte „Harmoniemesse“ aufgenommen, die nach der Uraufführung vom Fürsten Schwarzenberg als „großartige Messe“ gefeiert wurde. Worin liegen für Sie ihre Stärken?

Grünert: Bei aller Komplexität ist es Musik, die unmittelbar zu Herzen geht. Sie ist seine großartigste Messe, allerdings auch sein letztes Werk, das er schreibt. Ich habe den Eindruck, dass er all seine musikalische Erfahrung, sein kompositorisches Können hineingibt! Prachtentfaltung, Klangsinn und Melodik müssen einfach jeden Musikliebhaber verzaubern. Und dann nimmt schließlich die Orchesterbesetzung schon frühromantische Züge an, groß besetzt und reich an Klangfarben!

RONDO: Sie haben die „Harmoniemesse“ mit Haydns Sinfonie Nr. 101 „Die Uhr“ gekoppelt. Welche Idee steckte dahinter?

Grünert: „Die Uhr“ ist kurz vor dem Zyklus der sechs großen Messen in London entstanden und zeigt so ganz und gar den späten Haydn: Das, was wir in der „Harmoniemesse“ finden, formal und kompositionstechnisch, besetzungstechnisch und satztechnisch, ist in klarer Form in dieser Sinfonie enthalten. Mir fällt etwa das Thema des ersten Satzes ein, das er so genial allgegenwärtig sein lässt, in so witzigen und geistreichen Variationen. Oder die so schlichte Begleitung im zweiten Satz, über die sich so fein-anrührende Melodien entspinnen. Diese beiden Werke sind so ganz meisterhaft typisch Haydn.

RONDO: Es ist Ihre zweite Aufnahme einer Haydn- Messe. Soll daraus gar mal ein Zyklus entstehen?

Grünert: Den Kammerchor der Frauenkirche verbindet eine sehr schöne Zusammenarbeit mit dem Reußischen Kammerorchester, dem CD-Label Rondeau und nicht zuletzt dem Konzertort Thalbürgel. Wir haben das Glück, dass der dortige Konzertveranstalter ebenso ein großer Verehrer Haydnscher Musik ist. Also warum nicht? Lust darauf hätten wir alle …

Neu erschienen:

Joseph Haydn

Messe Nr. 14 B-Dur „Harmoniemesse“, Sinfonie Nr. 101

Ina Siedlaczek, Bettina Ranch, Tobias Hunger, Tobias Berndt, Kammerchor der Frauenkirche Dresden, Reußisches Kammerorchester, Matthias Grünert

Rondeau/Naxos

Guido Fischer, 10.12.2016, RONDO Ausgabe 6 / 2016



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