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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Molina Visuals/Warner

Sabine Devieilhe

Der Weberknecht

Mozart auf der Reise zu den Frauen: Die aufstrebende Koloratursopranistin widmet ihr zweites Album drei Damen.

Erst „Incarnatus est“, dann – mit nur wenig Schweigeabstand – „Leck mich im Arsch, feinsauber“, als Kanon! Am Ende wird Mademoiselle also dann sogar noch richtig ordinär. Darf man bei dem Sauhund und Schweinskopf Mozart ja auch. Ob sich der Wolfgang Amadeus und die Webersche Bagage einst auch solche Sachen an den Kopf geworfen haben? Es ist schwersten zu vermuten, mal zärtlich, mal in Rage.
Hier jedenfalls, nach einigen Minuten ahnungsvoller Stille auf der Silberscheibe, findet sich dann eben nach dem ätherischen Lob auf den Fleisch gewordenen Gottessohn doch noch eine sehr irdische Erinnerung an den göttlichen Komponisten – als hidden track auf einem so klug zusammengestellten, wie hervorragend gesungenen und schön präsentierten Konzeptalbum der französischen Sopranistin Sabine Devieilhe. Das kreist um vier Frauen, die – neben Mama, Schwester Nannerl und dem Augsburger Bäsle – Mozarts Leben entscheidend bestimmt haben: die resolute, stets auf ihren monetären wie ideellen Vorteil bedachte Cäcilie Weber mit ihren drei Töchtern Aloysia, Constanze und Josepha.
Sabine Devieilhe? In Frankreich schnalzen nicht nur die Kenner genießerisch mit der Zunge, fällt der Name der 28-Jährigen aus der Normandie. Sie ist einer der aufgehenden Sterne am französischen Sängerinnenhimmel. Und ihre neue CD, das zweite Soloalbum nach einem Rameau gewidmeten, wird auch hierzulande ihren Ruhm sicher verbreiten.

Lupenreine Brillanttöne

Geboren 1985 in Ifs, besuchte sie schon ab ihrem 12. Lebensjahr neben der Schule das Konservatorium in Caen. Später studierte sie Musik in Rennes und sang im dortigen Opernchor. Ab 2008 studierte sie für drei weitere Jahre Musikwissenschaft, Cello und Gesang am Conservatoire national supérieur in Paris. Und sofort ging es ins Berufsleben, schnell mit bekannteren Klangkörpern wie dem Orchestre National d’Île de France und dem Orchestre de Paris. Längst hat sie auch ihr Debüt an der Opéra hinter sich – natürlich als Königin der Nacht. Gefeiert wurde sie für ihre geschmeidige Technik, die lupenreinen Brillanttöne und den leicht opaken Feinschliff ihrer lyrisch-bissfesten Stimme auch an der Opéra comique als Leo Delibes’ indische Koloraturfee Lakmé. Zudem tritt sie regelmäßig mit der Alte-Musik-Formation Pygmalion auf. An die knüpft sie weitere zartere Bande: Sabine Devieilhe ist mit deren Leiter Raphaël Pichon liiert.
Was natürlich auch das jüngste gemeinsame Aufnahmeunternehmen zusätzlich inspiriert hat. Musik kann bekanntlich Geschichten erzählen – sogar die Love Story eines großen Komponisten. Schließlich geht es auch hier beim Tönesetzen vielfach um vokale Liebesgaben. Die der schwer emotionalisierte Wolferl, gerade eben vom pubertären Wunderkind zum Männlein gereift, eben den Weberschen bereitete. Gerade 21 Jahre alt war Mozart, als er in Mannheim die dort berühmt-berüchtigte Familie kennenlernte, der bald verstorbene Vater, der in diesem Dreimäderlhaus nicht viel zu melden hatte, war Bassist und Botenkopist in der Kurfürstlichen Kapelle, die damals zu den besten Orchestern Europas zählte. Und die Mutter suchte für die begabten Töchter jeden nur möglichen Vorteil, künstlerisch wie gesellschaftlich.

Geliebte Schwestern

Es kam wie es kommen musste: Mozart ohne Mutter, sich langsam vom Vater emanzipierend, auf dem Weg nach Paris 1777 in Mannheim Station machend, verliebte sich in Aloysia, für die er komponierte, die ihn jedoch ablehnte. Später in Wien heiratete er 1782 deren Schwester Constanze, und weitere Werke entstanden für Josepha – neben Aloysia eine der großen Operndiven des späten 18. Jahrhunderts. Ihr immenses Können zeigt sich in Mozarts Werken: Josepha brillierte als koloraturmächtige Königin der Nacht in der „Zauberflöte“, Aloysia bestritt in der dramatischen Konzertarie „Popoli di Tessaglia“ einen gewaltigen Tonumfang bis zum dreigestrichenen G – der höchsten für eine menschliche Stimme komponierten Note. Constanzes sanfterem, auch technisch nicht so virtuosem Sopran vertraute Mozart hingegen das „Et incarnatus“ aus der Großen Messe c-Moll an.
Sabine Devieilhe spielt nun das vokale Chamäleon und schlüpft in den diversen Arien, Liedern und Szenen meisterhaft in die unterschiedlichsten Rollen – unterstützt von Pianist Arnaud de Pasquale und dem Ensemble Pygmalion. Gemeinsam zeichnen sie in vier Sprachen ein farbiges Bild dieses amourösen Kapitels aus Mozarts Leben und beleuchten damit auch so manche weniger bekannte Komposition des Salzburger Donnerblitzbuben, der sich hier als erotisiertes Kerlchen erweist. Was sich in einem so abwechslungsreich zusammengestellten wie stimmungsnuancierten Prolog über „das naive Vertrauen oder die Erwartung“ sowie drei, den jeweiligen Damen zugedachten Akten mit je vier Musikstücken ereignet. Dabei gibt es auch Instrumentalmusik zu hören, um das zu weiblichem Gesang gewordene Mozart-Testosteron atmosphärisch zu grundieren. Ach ja, und den schweinderlnden Schlusskanon soll Mozart übrigens ersonnen haben, als ihm Aloysia die weiche Hand verweigerte. Liebeskummer wird Fäkalweltmusik: Das ist auch nur Mozart gelungen.

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

Die Weber-Schwestern

Sabine Devieilhe, Ensemble Pygmalion, Raphaël Pichon

Erato/Warner

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Auch gut: Arien für Bernucci

Einfach Mozart-Arien singen ist inzwischen auch auf CD obsolet. Es muss ein Programm her. Warum also nach dem klanglichen Kosmos der Weber-Schwestern nicht zum Beispiel ein dem Bass-Bariton Francesco Bernucci (ca. 1745 – 1824) gewidmetes Album? Der war einer der führenden Sänger der von Kaiser Joseph II. geförderten Opera buffa in Wien, Mozarts erster Figaro und auch der Liebling anderer Komponisten. Die Auswahl mit Arien aus Opere buffe von Mozart, Salieri, Martín y Soler u. a., das der Brite Matthew Rose zusammen mit Arcangelo unter Jonathan Cohen auf dem Label Hyperion lebendig werden lässt, zeichnet das Bild eines außergewöhnlichen Sängerdarstellers.

Matthias Siehler, 19.03.2016, RONDO Ausgabe 2 / 2016



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