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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Harald Hoffmann

Stefan Temmingh

Zum Mitflöten!

Für die CD „Birds“ ist dem atemberaubenden Blockflöten-Virtuosen jemand aus dem Nachtigallen-Lager zugeflogen.

Jetzt bloß keine Herrenwitze! „Die Blockflöte ist wohl das Instrument, das am stärksten mit Vögeln in Verbindung gebracht wird“, schreibt Stefan Temmingh allen Ernstes im Booklet zu seiner neuen CD. Diese naive Redeweise wollen wir dem reinen Gemüt des Solisten zum Vorteil auslegen. Nur dass man zugeben muss: Nicht nur mit Lerche, Kuckuck und Turteltaube wird die Blockflöte traditionell assoziiert – worauf Temminghs neue CD „Birds“ anspielt. Die Blockflöte steckt tatsächlich voll schlüpfriger, nein: sexueller Anspielungen.
Das müssen wir hier nicht weiter belegen. Und doch dürfte der Aufschwung, den das Instrument in den letzten Jahren genommen hat, auch mit derlei Zweideutigkeiten zu tun haben. Fern die Zeiten, wo der Stammvater neuerer Blockflötenkunst, Frans Brüggen, den Dienst an seinem Instrument noch mit dem Argument quittierte, dass das Repertoire der Blockflöte nicht genug hergäbe. (Brüggen wechselte zum Dirigieren.) Nach Michala Petri, Maurice Steger und Dorothee Oberlinger steht mit Stefan Temmingh jetzt ein weiterer, großartiger Blockflöten-Virtuose ins Haus. Seine „Birds“ sind ein Hinhörer!
Auf neun verschiedenen Instrumenten zwitschert sich der 1978 in Kapstadt geborene Solist durch die Musikvolieren von Händel, Rameau, Vivaldi, Keiser, Couperin, Arne und diverser Kleinmeister – superb begleitet von „The Gentleman’s Band“ und dem Barockorchester „La Follia“. Piepsen, glucksen und tirilieren kann er vorzüglich, so dass Gefiederallergiker vorweg gewarnt seien. Achtung, Ausschlaggefahr!
Für die atemberaubende Mimikry dieser Naturnachahmung ist ihm außerdem eine Sopranistin aus dem barocken Nachtigallen-Lager zugeflogen. Dorothee Mields, deutsche Sopranistin mit rumänischem Familienhintergrund (und „slawischen Wangenknochen“, wie sie sagt), ist eine Barocksängerin reinsten Wassers. Früher gab es das in Deutschland so gut wie gar nicht. Durch den Einfluss britischer Stars wie Emma Kirkby hat sich der Fundus knabenhaft gerader, strahlender Zierstimmen indes stark vergrößert. Mields, die als ihr Ideal „Reinheit, Klarheit, Textverständlichkeit“ angibt, steht in der Reihe hellstimmiger Barockengel zurzeit ganz vorn. Keine Riesenstimme, weshalb sie von der Oper meist die Finger lässt. Doch als Vogelstimmen-Imitatorin aktuell unerreicht.

Hier wird gesungen, nicht geschrien. Und gebalzt, nicht aber geballert.

„Ich kriege morgens oft Besuch von einer Kohlmeise“, lacht sie zur Erklärung. „Manchmal ist es auch ein Rotkehlchen“. Und: „Die klingen beide noch besser als ich!“ Tut gar nichts. In der Barock-Menagerie von Temminghs und Mields’ „Vögeln“ denkt man mitnichten an Hitchcocks Horror-Film „The Birds“. Hier wird gesungen, nicht geschrien. Und gebalzt, nicht aber geballert.
Ganz so, wie es die Emblematik der Eierleger vorsieht. Schon die Nachtigall, der wohl am häufigsten porträtierte Vogel der Barockmusik, repräsentiert – nachtaktiv, wie er ist – sowohl Bettstürme wie auch Kuschelei. Das liegt, genau genommen, an Ovid. Im 6. Buch seiner „Metamorphosen“ erzählt er, wie die attische Königstochter Philomele von ihrem Schwager vergewaltigt wird; woraufhin Zeus, um der Rache ein Ende zu machen, die geschändete Ehefrau in eine Nachtigall verwandelt – und den Vergewaltiger in einen Wiedehopf. Auch Shakespeare zitiert in „Romeo und Julia“ den Nachtigallen-Gesang: als Liebessymbol.
Interessant, wie sich die Sinnbilder verändert haben: Der Pfau, heute ein Bild des Stolzes und der Eitelkeit, stand seit dem Mittelalter für Demut, weil der Pfau körperlich dicht an der Erde geht. Die Turteltaube – auch in dem hier von Temmingh ingeniös gespielten „Tourterelles“-Traversflöten-Satz von Montéclair – gilt nicht nur als Erkennungszeichen für eheliche Treue. Sondern zugleich für Sanftmut, denn man ging früher davon aus, dass Turteltauben keine Galle haben. All dies kann man hier durchaus heraushören. Zum Mitflöten!

Neue erschienen:

Jean-Philippe Rameau, Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi u.a.

Birds

Stefan Temmingh, Dorothee Mields, The Gentleman´s Band, La Folia Barockorchester

dhm/Sony

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Robert Fraunholzer, 28.11.2015, RONDO Ausgabe 6 / 2015



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