home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Jillian Edelstein/Warner

Itzhak Perlman

Gipfelsturm im Sitzen

Er gilt als letzter Höhenzug einer „Grand Tradition“ der Violinkunst. Jetzt begeht Perlman seinen 70. Geburtstag. Und wird gefeiert in einer Hommage auf 77 CDs.

In Amerika gibt es ihn noch. Itzhak Perlman, wohl letzter Spross einer Geigen-Dynastie umwölkter Super-Helden, reist nur ungern. Im nächsten Frühjahr wird er noch einmal für ein Konzert in München erwartet. Ansonsten bevorzugt er Orte – und Bühnen –, die er mit seinem Amigo-Roller (halb Rollstuhl, halb Motorrad) leicht und mühelos erklimmen kann. Als Kind erkrankte er an Polio, ließ sich durch seine Behinderung eine Karriere indes nicht verdrießen. Er reiht sich würdig ein in die Galerie goldener Legenden von Fritz Kreisler über Jascha Heifetz bis zu Mischa Elman. Freilich: Kennt die noch jemand? Wer Perlman mit der nun erschienenen Box – nein: Es ist ein kleiner Sarg! – wiederentdeckt, worin große Teile seines Lebenswerkes jetzt vereinigt sind, glaubt sich im siebten Geigenhimmel. In dem hängt diesmal allerdings nur eine einzige Geige. Zur Feier seines 70. Geburtstags hat man sogar den Aufwand, den man mit der Neuausgabe sämtlicher Studio-Aufnahmen von Maria Callas trieb, noch einmal getoppt.
Der Kasten mit 77 CDs (in 59 Volumes) ist noch umfangreicher als die Callas-Box (der er im Übrigen ähnelt). In den Original-Covern stecken diesmal auch kleine Beihefte, so dass man nicht mehr umständlich nachschlagen muss, wenn man was sucht. Perlmans Warner- Werke sind so ausgreifend, dass der Prunk- Kasten praktischerweise auch als Fußbänkchen herhalten kann.
Tatsächlich war von den ehemaligen EMI-Aufnahmen, um die es sich hier zuzüglich weniger Teldec-CDs handelt, jahrelang kaum etwas lieferbar. Lediglich Vivaldi, Prokofjew, Goldmark und ein Paar Blockbuster wie Tschaikowski (mit Rostropowitsch) oder Dvořák (mit Barenboim) hielt man im Katalog. Was an der jetzigen Box verblüfft, ist die Überfülle an Grenzgängen, Duos, Trios und Jazz-Ausflügen, an Klezmer, Filmmusik, neuer Musik und Chichi. Ausgelassen hat Perlman nichts. Gepasst hat er zu allem.

Obertonfeuchtes Schimmern

Das lag daran, dass Perlman dem blendend schönen, obertonfeuchten Klang seiner Geige – womit er schon 1958, im Alter von 13 Jahren, in der Ed Sullivan Show auf CBS für Staunen sorgte – erfolgreicher ein amerikanisches Ansehen gab als alle Mitbewerber. Sein Ton war glamourös. Aber der Kern blieb doch ernst und inspiriert von den polnischen Wurzeln seiner nach Israel ausgewanderten Familie. Perlman verstand diesen Klangkern glanzvoll zu ummanteln, zum Glitzern und zum Schimmern zu bringen. Und verband ihn mit stupender Technik und Brillanz, ohne dass dies selbstzweckhaft wirkte. Er wurde der Virtuoseste von allen – und blieb doch ein leichter Melancholiker.
Nachdem man den Dreijährigen am Ron Shulamit Conservatory in Tel Aviv für zu klein befunden und seine Aufnahme abgelehnt hatte, mutierte er zum amerikanischen Star – als letzter einer Immigranten-Generation, die nun bereits zur Nachkriegs-Zeit gehörte. Perlman trat mit den Rolling Stones auf und mit Billy Joel. Er spielte bei Woody Allen in „Everyone Says I Love You“ und hat mit Plácido Domingo eine Duo-Platte gemacht. Zum Jubiläum der Freiheitsstatue geigte er und für wahrscheinlich sämtliche amerikanische Präsidenten auch. Zwei Mal sang (!) er sogar die Bass-Rolle des Carceriere in „Tosca“ (unter Mehta und Levine). Aus Joke, kein Zweifel. Als einziger Violinist schaffte er es bis in die Sesamstraße. Eine höhere Anerkennung für einen Klassik-Künstler kann es nicht geben.
Perlmans Geheimnis bestand immer in einem kleinen Kreis unentwegter Mitmusiker, deren menschliche Verbundenheit er schätzte – und deren Vertrautheit seine Basis bildete. „Ich kenne Itzhak seit unserer Kindheit“, schreibt etwa Daniel Barenboim in dem reich mit Bildern und Grußbotschaften versehenen Beibuch. Und zwar, „als wir Nachbarn in Tel Aviv waren und ich ihn oft beim Spielen in unserem Viertel sah“. Barenboim weist völlig richtig darauf hin, Perlman sei oft kritisch prophezeit worden, „dass es ihm unmöglich wäre, einer Laufbahn als professioneller Geiger im Sitzen nachzugehen“. Tatsächlich, der zeigefingerhaft aufragenden Präsenz eines Heifetz oder auch einer Anne-Sophie Mutter widerstand Perlman durch die Tatsache, dass hier ein Mann an Krücken die Bühne betrat, um sich – auf Augenhöhe mit dem Orchester – zum Spielen auf einen Stuhl zu setzen.
Und doch: „Vollendete Bühnenkunst“, so schreibt Vadim Repin im Booklet. Yo-Yo Ma bewundert Perlman dafür, „auf der Bühne eine solche Freude auszustrahlen“. Gidon Kremer würdigt seine „Warmherzigkeit“, und Frank-Peter Zimmermann erkennt in ihm schlicht „das große Vorbild“. Ivry Gitlis wird sogar metaphysisch: „Wenn es keinen Itzhak gäbe, dann gäbe es auch keinen Gott.“ Perlmans Name, so Maxim Vengerov, „sagt bereits alles: der Mann der Perlen“.
Da man das Erbe dieses wunderbaren Mannes so lange hat schleifen lassen, als könne man ihn entbehren, wirkt die Wiederbegegnung fast als Offenbarung. So sanguinisch-positiv können nur Musiker klingen, die etwas mitgemacht haben. Und was zu erzählen wissen. Itzhak der Große, hier zum Anfassen nah! Diese Mega-Box wird rasch genug ein gesuchtes Sammlerstück werden.

Neu erschienen:

Itzhak Perlman: The Complete Warner Recordings (77 CDs)

Itzhak Perlman u.a.

Warner

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Altmodisch vollendet

Die „goldene Ära“ der Geigenkunst schreibt sich von Paganini, Ysaÿe und de Sarasate her – Legenden, welche Komponisten und Virtuosen zugleich waren. Noch Fritz Kreisler und Joseph Joachim vereinten beides in sich. Erst in Jacques Thibaut und Joseph Szigeti begegnen wir Erben, die sich ganz aufs Interpretieren verlegten. Der erste Super-Virtuose mit großer Schallplattenkarriere war der aus Vilnius stammende Jascha Heifetz. Bereits den in Amerika ähnlich berühmten Mischa Elman kennt man heute kaum noch. Daran – wie auch am Aus-der-Mode-Kommen von Heifetz – zeigt sich, wie sehr diese Tradition heute abgeschlossen und einer schönen Vergangenheit anzugehören scheint. Leider.

Robert Fraunholzer, 17.10.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2015



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Fanfare

Die Deutsche Oper Berlin kann bis November die Bühne an der Bismarckstraße wegen der Renovierung […]
zum Artikel

Pasticcio

Unterstützung!

Am vergangenen Mittwoch fand im Berliner Konzerthaus ein topbesetztes Konzert statt. Ohne […]
zum Artikel

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert

Merkwürdige Werkwahl. Im zweiten Lockdown kam als Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper im […]
zum Artikel


Abo

Top