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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Nobert Kniat/DG

Yuja Wang

Aus der Wohlfühlzone

Die Chinesin trägt nicht nur die steilsten Kleider der Klavierwelt. Sie gehört auch zu den kompromisslosesten Pianistinnen der Welt.

A lotta class and a lotta a(etwa: „eine Menge Klasse und …“) – das ist es, so könnte man zumindest auf Amerikanisch sagen, was Yuja Wang bietet. Übersetzen lässt sich dieses Kompliment zumindest in diesem Rahmen leider nicht. Wohnhaft in New York, ist Yuja Wang nicht nur eine der technisch atemberaubendsten Pianistinnen der Gegenwart. Sie hat auch das beste Outfit für sich gefunden. „Ich reise mit fünf Kleidern, wenn ich auf Tour bin“, sagt sie im Gespräch. All diese Kleider haben eines gemein: Sie zeigen eine unaussprechlich gute Figur. Und zwar von vorne … und von hinten.
Auf die Frage, ob sie schon mal darüber nachgedacht habe, was sie anziehen werde, wenn sie dereinst 50 wird, muss sie passen. „Aber die Kleiderauswahl wird schon jetzt immer schwieriger, denn ich habe längst alles angehabt.“ Kleider seien eine Inspiration für sie. „Das Kleid muss passen, und zwar zum Stück“, so Wang. „Silber für Beethoven! Rot für Bartók!“ Und für Ravels Klavierkonzert für die linke Hand? „Schwarz, aber nur auf einer Seite …“ Ob die andere Seite dann unbekleidet bleibt, muss wiederum abgewartet werden.
Wer jemals Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser spektakulären Künstlerin hatte, kann sich diese rasch zerstreuen lassen. Yuja Wangs Interpretationen sind kompromisslos und konsequent. „Crossover, nein danke!“, sagt sie schlicht. „Es gibt noch so viele neue Werke für mich zu entdecken, so viel, was außerhalb meiner Wohlfühlzone liegt, dass ich nicht glaube, in nächster Zeit das klassische Repertoire zu verlassen.“ Russisches ist ihr Stammfeld. Die Eltern in China liebten Tschaikowski. Statt mit Peking- Oper wuchs die hochtalentierte, bienenfleißige Tochter mit Ballett- Musik und westlicher Oper auf. „Beethoven war nicht so ihr Ding“, so Wang über ihre Eltern. „Er war ihnen zu rational und zu jongleurhaft.“

Mozart mit nassen Füßen

Neben Lang Lang und Tianwa Yang ist Yuja Wang derzeit diejenige Klassik-Künstlerin, die mit den Vorurteilen gegenüber asiatischen Interpreten am radikalsten aufräumt. „Ich glaube nicht, dass die Zeit der Klischees ganz vorbei ist“, meint sie. Noch immer zweifeln viele daran, dass asiatische Künstler tiefsinnige Mozart- oder Schubert-Interpreten sein können. Obwohl mit dieser Dummheit eigentlich schon die Japanerin Mitsuko Uchida Schluss gemacht hat. „Das Härteste, was ich mir vorstellen könnte“, prustet Yuja Wang heraus, „wäre es, Mozart in Wien zu spielen. Da kriege ich nasse Füße …“
Diese Füße stecken, nebenbei, zumeist in hochhackigen Stöckelabsätzen, in denen andere MenMenschen nicht mal laufen, geschweige denn Klavier spielen können. Yuja Wang kann damit sogar die Pedale treten. Bisherige Aufnahmen mit Prokofjew, Ligeti und Rachmaninow (unter Claudio Abbado) beweisen das eindrucksvoll. Wang ist unbestechlich in ihrem kristallinen, gestochen scharfen Ton. Sie haut rein, aber sie tut dies auf die artikulierteste und differenzierteste Weise.

Chinesischer Tiger mit Pranke

Kein Zweifel, dass dies eine Künstlerin mit Geheimnis ist. Auch im Konzert. Man muss erlebt haben, wie sie schwankend und überaus zielstrebig zum Flügel stakst, sich steil verbeugt, als mache sie einen Köpfer vom Fünf- Meter-Brett, und sofort zu spielen anfängt. „Es gibt sogar Stücke, die nur live für mich funktionieren: Balakirews ‚Islamey’ etwa“ (übrigens eines der schwierigsten Virtuosenstücke von allen). „Es ist sehr exotisch und sehr erotisch“, so Wang. Nicht zufällig handelt es sich um eine der begehrtesten Zugaben der heute 28-Jährigen.
Auf ihrer neuen CD widmet sich Yuja Wang erstmals dem französischen Repertoire: Ravels G-Dur-Konzert sowie dem etwas seltener gespielten „Konzert für die linke Hand“. Außerdem gibt’s die Ballade von Fauré, die sie auch in der Fassung mit Orchester im Repertoire hat. „Ich spiele das Werk schon länger als Mozart“, lacht sie.
Gerade die unkokette, weibliche Eroberer-Pose, mit der Yuja Wang ihre Ziele nimmt, unterscheidet diese Künstlerin von jeder softeren Konkurrenz. Diese China-Tigerin zeigt wirklich Pranke. Und erinnert daran, dass die großen Pianistinnen der Klaviergeschichte – von Clara Haskil über Myra Hess bis zu Martha Argerich – stets Damen waren, die zuhauten. Auch die meisten männlichen Konkurrenten sind gegen Yuja Wang – mit Verlaub: Weicheier.

Neu erschienen:

Maurice Ravel

Klavierkonzerte

Yuja Wang, Tonhalle-Orchester Zürich, Lionel Bringhier

DG/Universal

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Außer Konkurrenz

Bei der Ballade op. 19 von Gabriel Fauré gibt es kaum Konkurrenz zu fürchten – nur Angela Hewitt hat sich mit dem Werk überhaupt befasst. Bei Maurice Ravel sieht die Sache anders aus. Vom G-Dur-Konzert existieren noch mehr Aufnahmen als von der „Daphnis et Chloé“-Suite Nr. 2. Von Monique Haas über Martha Argerich bis zu Alicia De Larrocha, Pierre- Laurent Aimard und Krystian Zimerman reicht die Liste der Rivalen und Referenzaufnahmen – meist auch mit dem Konzert für die linke Hand. Nur: Lange ist’s her! Unter jüngeren Aufnahmen müsste man zu Hélène Grimaud greifen (auf DVD) oder zum – vorzüglichen – Briten Benjamin Grosvenor. Aber die Fetzen fliegen nirgendwo so wie bei yippie Yuja.

Robert Fraunholzer, 10.10.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2015



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