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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Molina Visuals/harmonia mundi

Alexander Melnikov

Ménage à trois

Mit Melnikov als Solist des Klavierkonzerts geht das originelle Schumann-Projekt in die zweite Runde. Und wieder mit dabei: Isabelle Faust und Jean-Guihen Queyras.

Er ist da ganz ehrlich. Diese Bescheidenheit ist es auch, die das Publikum in Staunen versetzt, wenn der russische Pianist Alexander Melnikov an den Tasten loslegt. Nicht dass er als Mauerblümchen durchgehen würde, aber er rückt sich ungern ins Scheinwerferlicht, will altmodisch für sein Spiel gelobt, geliebt oder kritisiert werden, aber nicht für irgendein Image.
Also Ehrlichkeit: „Meine erste CD für harmonia mundi habe ich gemacht, weil mich Isabelle Faust unbedingt als Duopartner haben wollte.“ Ist ja nicht die schlechteste Empfehlung, zumal das kleine, feine Independent Label seiner Geigen-Primadonna so ziemlich jeden Wunsch genehmigt. Verwandte Musikerseelen? Bestimmt. So wurde Alexander „Sasha“ Melnikov also als Faust-Sidekick ins Studio gebeten, um zwecks CD-Abrundung zum Dvořák- Violinkonzert noch das 3. Klaviertrio f-Moll beizusteuern. Vor elf Jahren erschien das Album, und der Cellist im Trio-Bund war übrigens Jean-Guihen Queyras. Damals schon. Diese Bande haben nicht nur gehalten, sie wurden vertieft. Um jetzt einen – vorläufigen – Höhepunkt zu finden: alle drei Schumann-Konzertwerke für Geige, Klavier und Cello, gekoppelt jeweils mit einem der Klaviertrios. Eine Personale für dieses längst auch regelmäßig erfolgreich auftretende Trio, als schöne Mischung aus Solistenglanznummer und ausbalanciert gemeinsamem Musizieren. So haben sie es sowieso am liebsten.

Keine Repertoire-Schubladen

Schubert, der stand als nächstes auf der Faust- Liste, verschiedene Geigen-Werke, wieder mit Melnikov als Sekundanten am Klavier. „Inzwischen hatte mich Eva Coutaz, die Repertoire- Königin bei harmonia mundi, beim Klavierfestival von La Roque-d’Anthéron gehört und für gut befunden. Alexander Skrjabin als Thema meiner ersten Solo-CD hat sie sofort akzeptiert. Ich bin froh, dass die gekauft worden ist. Denn damals war es schon schwer, noch eine einigermaßen bedeutende Plattenfirma zu finden, ganz zu schweigen von heute.“
Alexander Melnikov kann sich nicht beklagen, eine beeindruckende Diskografie bei einer einzigen Firma hat der 42-jährige Russe, der sein Studium am Moskauer Konservatorium bei Lev Naumov absolvierte und zu seinen prägendsten Erlebnissen die Begegnungen mit Svjatoslav Richter zählt, bis heute vorzuweisen. Mit Isabelle Faust hat er die Kreutzer-Sonate zu ihrem Beethoven-Violinkonzert beigesteuert, gemeinsam hat man Weber-Kammermusik eingespielt, Beethoven-Trios, Hindemithund Brahms-Sonaten.
Als Solist hat Melnikov mit Brahms-Werken auf sich hingewiesen, mit Sergei Rachmaninow einem Landsmann gehuldigt und sich mit zwei herausragenden CDs als Schostakowitsch- Interpret bewährt („aber ich habe aufgepasst, dass man mich nicht zum Spezialisten abgestempelt hat“): Sowohl die Präludien und Fugen von 2010 bekamen höchstes Lob, mehr noch der technisch lodernde Funkenflug der zwei Jahre später veröffentlichten Klavierkonzerte mit Teodor Currentzis am Pult des Mahler Chamber Orchestra. Auf dieser Scheibe ist dafür einmal Isabelle Faust die Partnerin im Füllmaterial-de-luxe – mit der späten Violinsonate op. 134.
Geben und Nehmen auf höchstem Niveau – das zeichnet diese besondere kammermusikalische Verbindung mit Faust wie Jean-Guihen Queyras aus: „Wir sind durchaus unterschiedliche Charaktere, aber musikalisch passen wir gut zusammen. Obwohl wir viel diskutieren, um jedes Werk ringen. Aber am Ende sind wir glücklich.“ Nach den vielen Duo-Küren mit Faust freut sich Melnikov besonders, dass auch alle Beethoven-Cello-Klavierwerke mit Queyras so gut gelungen sind.

Schumann, wörtlich genommen

„Ich weiß nicht mehr, wie sich dieses andere Unternehmen konkretisiert hat“, erzählt Alexander Melnikov, der jetzt im Mittelpunkt der zweiten von drei Schumann-CDs steht. „Wir spielen die Schumann-Trios schon lange gemeinsam, wollten sie natürlich festhalten. Aber die Konzerte, die kamen als Bausteine hinzu, und plötzlich hatten wir eine Idealkombination mit dem Freiburger Barockorchester und Pablo Heras-Casado – dann wurde eine Tournee, ein richtiger Schumann-Monat daraus.“
Ein Schumann-Monat, das kann man wohl sagen. Und nicht der einzige. Erst haben sie zwischen April und Mai 2014 alle drei Konzerte, also das populäre Klavierkonzert, das weniger oft zu hörende Cellokonzert und das lange abschätzig behandelte Violinkonzert, in Neumarkt, Schweinfurt, Freiburg, Köln, Stuttgart, Brüssel, Wien, Barcelona und – nach den Aufnahmesitzungen – in der Berliner Philharmonie gespielt. Dann folgte im Spätsommer eine zweite Berliner Studiosession für Faust, Melnikov und Queyras, wiederum in der klösterlichanregenden Lichterfelder Atmosphäre der Teldex- Lokalitäten, um Klaviertrios unter der so freundlichen wie strengen Hörüberwachung des bewährten Produzenten Martin Sauer in Bits and Pieces zu verwandeln.
Aber eben nicht nur das. Es ist auch die Art und Weise, wie man sich hier zum gemeinsamen Musizieren und anschließenden Aufnehmen getroffen hat, die davon kündet, dass alle Beteiligten diesmal wirklich ein Herzensprojekt zum Wohle eines immer noch unterbewerteten Komponisten unternommen haben. Das Ergebnis wurde nun über anderthalb Veröffentlichungsjahre verteilt: Konzert und Klaviertrio als anregender Genremix.
„Für die Trio-Auswahl waren wohl vor allem Spielzeiten ausschlaggebend“, klärt Alexander Melnikov pragmatisch auf, um gleich auf die Dauer des Schumann-Konzerts zu kommen, das sein meistgespieltes überhaupt ist, und mit dem er schon 1989, kurz vor DDR-Torschluss, den Zwickauer Schumann-Wettbewerb gewann. „Wir haben uns exakt an Schumanns Metronom-Angaben gehalten, das geht durchaus. Nur im ersten Satz sind auch wir etwas langsamer, denn sonst kommt die Klarinette nicht mehr mit, wir haben es vielfach ausprobiert.“
Dabei musiziert Alexander Melnikov übrigens auf einem so prächtigen wie eigenwillig tönenden original Érard-Hammerflügel aus dem Jahr 1837. Das Instrument ist also nur acht Jahre älter als das Konzert. Mit seinem silbrig leisen Klang und dem Klappern der Tasten erlaubt es freilich eine ganz neue Balance von Solist und Orchester, die sich auf den intellektuellen Dialog kapriziert; das auftrumpfend Virtuose, auch Weich-Sentimentale, das diesem Konzert im Lauf der Aufführungsgeschichte immer mehr zugewachsen ist, gerät so in den Hintergrund. Es wird ein Monument des gemeinsamen Musizierens.
„Witzig am Rande: Ich habe in meinem Schumann-Verständnis vor allem hinsichtlich der Tempi viel von Andreas Staier gelernt. Das Trio spiele ich jetzt auf einem Alois-Graff- Hammerklavier, mit dem Staier seine Schumann- Konzertaufnahme gemacht hat. Dafür hat er den Érard für seine Kinderszenen-Einspielung benutzt.“ Neu erschienen: Schumann

Neu erschienen:

Schumann

Klavierkonzert a-Moll, Klaviertrio Nr. 2 F-Dur

Alexander Melnikov, Isabelle Faust, Jean-Guihen Queyras, Freiburger Barockorchester, Pablo Heras-Casado

harmonia mundi

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Frei, aber zweisam

Alexander Melnikov hat eine weitere harmoniamundi- Einspielung im CD-Köcher. Denn jetzt komplettiert er seine 2007 mit Isabelle Faust begonnene, vielfach gelobte Einspielung der Brahms-Sonaten für Violine und Klavier mit der Nr. 2 A-Dur op. 100 und der Nr. 3 d-Moll op. 78. Und beide haben noch eine Rarität hinzugefügt: die nur selten komplett aufgenommene FAE-Sonate, ein Gemeinschaftswerk von Robert Schumann, Johannes Brahms und Albert Dietrich zu Ehren des großen Geigers Joseph Joachim und seines romantischen Lebensmottos „Frei aber einsam“. Der berühmte Interpret musste übrigens erraten, wer welchen Satz geschrieben hatte. Besonders brahmsisch klingt natürlich das Scherzo …

Matthias Siehler, 19.09.2015, RONDO Ausgabe 4 / 2015



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