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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Elfriede Harnak/Universal

Friedrich Gulda zum 85.

Ob es allzuviele Feuilletons gibt, die sich über den 85. Geburtstag des im Jahre 2000 verstorbenen Friedrich Gulda Gedanken machen? Das früher erregt betrachtete Drama seines Lebens zwischen den Welten scheint uns ferngerückt zu sein. Bald nach dem Krieg gelang es dem 1930 in Wien Geborenen, mit aller pathetischen Rhetorik und Kunstpriestergebärde zu brechen, die abgelebten Romantizismen wegzufegen und zugleich dem nach seinem Sündenfall wunden und verstörten Schwundbildungsbürgertum den geradezu heilsversprechenden Respekt vor Beethovens Notentext vorzuleben. Man hört seiner frühen Aufnahme der 32 Klaviersonaten diese unterschwellige Spannung zwischen Bildersturm und schneidend-positivistischer Sorgfaltspflicht noch kaum an. Es ist eine doch sehr behutsame Ausräucherung des Sanktuariums. Auch in den live-Mitschnitten, etwa dem Klavierabend 1959 aus Schwetzingen, erlebt man einen sensiblen Intellektuellen, keinen Savonarola. Die kleine Sonate G-D (op. 14/2) wird nicht exekutiert, sondern mit jener fast verschämten Detailliebe ausgespielt, die er seinem Stil später dann rigoros austreiben würde. Und was er damals nicht alles spielte! Ravel, Debussy und Chopin. Die Préludes op. 28 bieten ein Musterbild Pollinihafter Kontrolle und Politur, das allerdings nur denjenigen überrascht, der weiß, wie es weiterging mit dem sich allmählich radikalisierenden Pianisten. Der fühlte sich mehr und mehr eingesperrt im Gehäuse der ritualisierten Kanonpflege.
Das diskografische Erdbeben folgte mit der 1967 in 32 symbolischen Nachmittagen hingeworfenen zweiten Serie der Beethoven-Klaviersonaten bei Amadeo. Diese unbeschreiblich zupackende, übermotorische Lesart prägte das Stilideal einer Generation. Daneben wirkten Schnabel und Kempff schwankend und bröckelig, Backhaus und Arrau dröge und selbst der noch junge Brendel bloß akademisch. Hier war mit einiger Verspätung das Pendant der Glas-Stahl-Moderne erschienen, ohne Erbarmen für das unregelmäßig in den Winkeln des Notentextes Blühende, aber bezwingend in den Formen und Linien. Ich habe das seit meinen Gymnasialzeiten nicht mehr gehört. Die Wiederbegegnung mit meinen alten LPs war auch eine mit den eigenen jugendlichen Beschränktheiten. Hatte der rasende Architekt damals nicht doch zu schnittig und gradlinig gezeichnet? Und doch, der Ritt durch die Hammerklaviersonate hat keinen Staub ansetzen können.
Mehr und mehr verdrängte der Bürgerschreck den Pianisten, und über seine lustigen Performances mit Ursula Anders, seine Publikumsbeschimpfungen und die vielleicht doch vergeblichen Versuche, neben Herbie Hancock zu bestehen, konnten sich Publikum und Rezensenten tatsächlich noch aufregen. Guldas Provokationspotential bedurfte des Hochkulturschemas. Als dann in den Neunzigerjahren die ersten wirklich bösen Zerstörer der letzten Refugien auftraten (‚Klassik macht Spaß‘), missbrauchten sie ihn als eine Art Präfiguration. Doch das hat er nicht gewollt. Der experimentierfreudige Grantler war ein todernster, bohrender und niemals gefällig plänkelnder Mozart- und Bachspieler geblieben. Seine monolithische Kunst ist in einer liebevoll edierten, sogar in Vinyl zu bekommenden Box mit dem kompletten Wohltemperierten Klavier von Bach in ihrer ganzen uneitlen Strenge wieder zu besichtigen. Immerhin eine kleine, feine Geburtstagsfeier ...

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Matthias Kornemann, 06.06.2015, RONDO Ausgabe 3 / 2015



Kommentare

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Gulda in memoriam ... ... respektabler Beitrag und Erinnerung an den grossen Pianisten. Und sein Amadeo-Beethoven- Sonatenzyklus ist nach wie vor up-to-date, verglichen mit all den z.T. distinktiv-defizitären Einspielungen nach ihm. Gulda bekannte später in den 80ern, er würde es nochmal wohl anders machen, jedoch nicht mit dieser, resp. für ihn selbst, kühnen Stringenz. Und das macht Kunst wohl aus, dass sie nicht be- einträchtig ist in ihrer konstitutiven Schau von blassen Details. gemihaus, Berlin


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