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Wer weiß? Vor ein paar Jahren wäre Lyambiko wohl nur ein Fall für Eingeweihte geblieben. Es waren dunkle Zeiten, in denen der Jazz höchstens bärtige Oberstudienräte hinter dem CD-Regal hervorlocken konnte. Dann aber begann die wunderliche Renaissance des Real- Book-Gesangs im Angedenken an Billie Holiday oder Ella Fitzgerald. Diana Krall machte Mitte der 90er Jahre den Anfang, und viele folgten. Auch wenn die Kritiker den überbordenden Erfolg der ausbrechenden Jazz-Nostalgiewelle bemäkelten – er hatte sein Gutes. Weil er Talente heranspülte, die sonst im Ozean der CD-Neuerscheinungen unweigerlich untergegangen wären. Die aus Thüringen stammende Sängerin Lyambiko ist dafür ein gutes Beispiel.
2001 trat die damals 26-Jährige zum ersten Mal in Berlin mit verlässlichen und alt gedienten Session-Musikern aus der Hauptstadt auf. Sie war unsicher, ob sie überhaupt als Jazz-Vokalistin bestehen könne. Doch die sechs helfenden Hände von Pianist Marque Lowenthal, Kontrabassist Robin Draganic und Schlagzeuger Torsten Zwingenberger hätten ihr die nötige Sicherheit gegeben, erklärt die Tochter eines Amateurmusikers aus Tansania und einer deutschen Mutter. Es fand sich auch bald ein Produzent, der eine Platte mit dem frisch gegründeten Quartett aufnehmen wollte. Das Ergebnis, die CD „Out of This Mood“, entwickelte sich zum deutschen Überraschungserfolg der Saison 2002.
Ohne großen Promotionsaufwand rutschte die Einspielung in die Top-Ten der Jazz-Charts; die darauf folgenden Tourneen in Europa und den Staaten warfen überraschende Ergebnisse ab. Im „Boston Globe“ wurde das Quartett 2003 etwa zu den zehn besten Jazz- Live-Ereignissen des Jahres gewählt – neben Dave Brubeck, Wayne Shorter und Norah Jones.
Gewiss, an letztere dürfte man unweigerlich denken, wenn man nun das Major-Label-Debüt von Lyambiko auflegt. Direkt an zweiter Stelle taucht da die Ballade auf, mit der Miss Jones damals die Herzen vieler Käufer brach: Hoagy Carmichaels und Ned Washingtons „Nearness of You“. Und ja: Lyambiko kommt einem mit ihrer Interpretation nicht so nahe wie Norah. Aber möglicherweise ist das auch gar nicht gewollt. Die Berlinerin trägt ihre Gefühle eben nicht auf dem Tablett, sondern baut mit ihren unverbindlichen Interpretationen alter Jazz- und Bossa-Standards eher eine Barriere zwischen sich und dem Hörer auf. Man hört Billie-Holidayartiges ohne Verzweiflung, Ellaeskes ohne Absturzgefahr; aber es ist okay, wenn man sich nicht unter Niveau amüsieren will. Gleiches gilt auch für die eleganten Beiträge der Gastmusiker Helmar Marczinski am Tenorsax und Giorgio Crobu. Sie fügen der fein gewürzten Suppe ein bisschen Lester-Young-Aroma und Django-Reinhardt-Pfeffer hinzu. Es ist alles sehr schmackhaft und bekömmlich. Vor allem der finale Digestif, ein überraschender Dialog von Kontrabass und Stimme. „It Could Happen to You“ singt Lyambiko. Was genau das ist, was einem passieren könnte, bekommt man nicht heraus. Es wird wohl etwas Angenehmes sein.
Josef Engels, 18.04.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2005
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