home

N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Andreas Ottensamer

Die nackte Gulasch-Kanone

Der Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker serviert auf seinem neuen Brahms-Album ein schmackhaftes Zigeunergulasch – mit prominenter Koch-Crew.

Inzwischen hat sich die Aufregung um ‚Schlüpfergate’, also die Unterhosenfotos von Andreas Ottensamer, wieder gelegt. Obwohl die Abzüge – die zu machen ihm in einem Schwimmbad angeboten wurde –, auf einzelnen Internet-Blogs immer noch zu sehen sind. Wer suchet, der findet. Auch den Spitznamen „Die nackte Klarinette“ hat der demnächst 26-Jährige vermutlich ein für alle Male weg. Macht nichts! Und schließlich, ob die lustige Affaire dem Exklusiv-Schallplattenvertrag bei der Deutschen Grammophon hinderlich oder in Wirklichkeit vielleicht förderlich war, das sind große Fragen, die wir in diesem Leben nicht mehr lösen werden.
Ottensamer spielt offen mit seiner Attraktivität. Obwohl er nach Bekanntwerden der Fotos einige Tage hochgeschlossen in der Philharmonie erschienen sein soll – er ist Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker –, befinden sich im Booklet der neuen CD unter den sage und schreibe 12 Porträt-Fotos auch solche, auf denen einem auffällt, dass Ottensamer zwischenzeitlich ganz schön zu ‚pumpen’ angefangen hat. „Ich will ja nicht behaupten, dass ich nicht manchmal Liegestütze mache“, relativiert er im Café-Interview in Berlin-Kreuzberg. „Aber ins Fitnessstudio gehe ich kaum.“ Tennis, Fußball, Golf und Ski sind seine Hobbys.
All diese Äußerlichkeiten sind tatsächlich unwichtig. Ottensamer, Spross einer Wiener Klarinettendynastie – sowohl Vater wie Bruder sind Solo-Klarinettisten bei den Wiener Philharmonikern –, wurde bei Erscheinen seines Debüt-Albums vor zwei Jahren zu Recht als Shooting-Star gefeiert. Sein Ton ist rund und voluminös und von spektakulärer Präsenz. Sein Spiel besitzt tollen Drive und Drill, ohne dass er den Ton überspitzt. Dahinter steht eine spezifisch Wiener Klang-Auffassung – und ein Wiener Instrument, das seine Besonderheiten hat.
„Die Wiener Klarinette ist dickwandiger und hat eine breitere Bohrung“, erklärt Ottensamer mit der Beflissenheit eines Automechanikers. „Das führt dazu, dass man mehr Luft braucht, und das wiederum fördert einen breiteren, gedeckteren, gewölbten Klang.“ Die Wiener Klarinettentradition, die mit der deutschen gut kompatibel ist, begünstigt also den dunklen, voluminösen Klang, mit dem die Klarinette als Ensembleinstrument in der Mitte des Orchesters verortet wird. Spitz hervorzustechen ist deren Ziel nicht.
„Bei den Berliner Philharmonikern bin ich bei weitem nicht der erste österreichische Klarinettist “, erklärt Ottensamer weiter. „Bereits Karl Leister, obwohl er aus einer anderen Schule kam, hat unter Karajan einen schlanken, runden und klaren Klang favorisiert, dem alles Schrille und Kantige fehlte.“ Darin habe Leister sozusagen die Vorlage für die heutige Klangkultur gegeben. Und einen Punkt definiert, in dem sich die Ästhetik der beiden großen Wiener und Berliner Orchester berührt und durchdringt.

Kammermusik per SMS

So weit, so gut gefachsimpelt. Dass Ottensamer so auskunftsfähig ist, hängt natürlich mit einem spezifisch österreichischen Sendungsbewusstsein zusammen, das auf Weitergabe der Klangtradition erpicht ist. Und damit, dass im Hause Ottensamer Musik an erster Stelle stand. „Im Haus, das wir bewohnten, konnte man gottlob üben, ohne einander wahnsinnig zu stören“, meint Ottensamer. „Tatsächlich haben mein Bruder und ich manchmal vorm Fernseher gesessen und gesagt: ‚Ich üb’ jetzt nicht, und dafür übst du auch nicht!’“ Noch häufiger habe es freilich die Situation gegeben, wo man einander textete, man wolle noch eine halbe Stunde für sich üben, bevor man einander für ein Duo trifft.
Wie die Eltern das Kunststück hinbekamen, gleich beiden Söhnen das Instrument des Vaters schmackhaft zu machen, darf als Triumph gelungener Erziehung gefeiert werden. „Ach was!“, protestiert Andreas Ottensamer. Im Hause des Geigers Christoph Koncz und seines Bruders, des Cellisten Stephan Koncz (beide mit auf der neuen CD vertreten), sei es nicht anders gewesen. Eher österreichische Verhältnisse also. Trotzdem beneidenswert.
Da Mutter Ottensamer – sie heißt Cecilia, Cello-Professorin am Wiener Konservatorium – halbe Ungarin ist, trägt die neue CD den Titel „The Hungarian Connection“ nicht zu Unrecht. Bei den Gebrüdern Koncz sieht es ähnlich halbungarisch aus. „Das ist nicht unwichtig, denn beim ungarischen Idiom gibt es musikalische Regeln zu beachten ähnlich wie beim Wiener Walzer“, so Ottensamer. Genau: Beim Dreivierteltakt ist es bedeutsam, den zweiten Schlag nicht zu spät und den dritten nicht zu früh zu bringen. „Und im ungarischen Repertoire kommt es darauf an, dass der Akzent zwar auf dem ersten, die Emphase aber auf dem zweiten Schlag liegt“. Jessas! Wer immer dies verstehen mag, hält den Noten-Schlüssel zur österreichisch- ungarischen Monarchie in Händen.

Hackbrett für den pikanten Schmelz

Um es besonders magyarisch klingen zu lassen, hat man für die Arrangements von Brahms’ Ungarischen Tänzen Nr. 1 und 7 auf die originalen Vorlagen zurückgegriffen – und die Instrumentation um ein Cimbalom ergänzt. Bei „Két Tétel“ von Leo Weiner, einer Schlüsselfigur der ungarischen Dirigentengeneration um Solti, Reiner, Szell und all die anderen, ist das Cimbalom ohnehin vorgesehen. Gespielt wird es von Oszkár Ökrös, dem amtierenden Urviech und Hohepriester des dreifüßigen Hackbretts.
Ungeahnt narkotisch und geradezu in Trance versetzend – während man hellwach bleibt! – ist das Klarinettenquintett mit einer all star-Besetzung unter Anführung von Leonidas Kavakos und Antoine Tamestit. „Ich habe keinen ausgeprägten Kontakt zu bestehenden Quartetten, so dass mir die Lösung mit einzelnen, großartigen Musikern näher lag“, so Ottensamer. Dick, räkelig und flaumig wie ein Molch, zieht Ottensamer seine Klarinettenspur dabei durch die folkloristisch edlen Gefilde dieser Freundesrunde.
Ein transsilvanisches Traditional rundet das Zigeunergulasch ab. Ein köstlich gelungenes Album, bei dem sich zeigt, dass hübsche Musiker in der Klassik keineswegs zum Misstrauen verleiten müssen. Übrigens, hässliche Klassik-Stars hat es zu allen Zeiten kaum welche gegeben. Auch Bernstein, Karajan und die Callas sahen zu ihrer Zeit unschlagbar gut aus. Da ist der Andi in best-aussehender Gesellschaft.

Neu erschienen:

Brahms

Brahms – The Hungarian Connection

Andreas Ottensamer, Leonidas Kavakos, Christoph Koncz, Antoine Tamestit

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Robert Fraunholzer, 04.04.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2015



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Oliver Triendl

Von der Schweiz in die Karpaten

Paul Constantinescu und Rudolf Moser sagen Ihnen nichts? Der Pianist hat gerade originelle […]
zum Artikel

Bücher

Bücher

„Ich denke in Tönen. Gespräche mit Nadia Boulanger“

Bruno […]
zum Artikel

Pasticcio

Die Kunst des Stehgreifspiels

„Yes, she can!“ – und wie! Frei nach dem Wahlkampfslogan ihres Fans Barack Obama improvisiert […]
zum Artikel


Abo

Top