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N° 1354
20. - 26.04.2024

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am 27.04.2024



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(c) Georg Thum

François Leleux

Der Seelenbohrer

Mit den „Esterházy-Konzerten“ gelingt dem Oboisten ein köstlicher Urknall für sein Instrument – im Verein mit Emmanuel Pahud.

Was finden die Leute bloß am piekenden, staksigen, irgendwie ostinaten Ton der Oboe?! „Die Zuhörer lieben, so sagen sie mir, den sinnlichen Ton der Oboe: einen Ton, der die Seele öffnet“, so François Leleux. Die Oboe schaffe es, tiefer einzudringen in die menschliche Psyche als dies anderen Instrumenten vergönnt sei. „Man kann sehr frech, auch lustig sein mit der Oboe, und fast gleichzeitig lyrisch und innig.“
Tatsächlich – mittlere Temperaturen wie bei der Flöte oder der Klarinette sind dem Instrument eher fremd. Es ist extremer. Und bei der Tiefenbohrung in der Seele so erfolgreicher. Trotzdem hat das Instrument erst in den letzten Jahren wahre Publikumslieblinge hervorgebracht. Als Stammvater des Aufstiegs darf der großartige Heinz Holliger gelten. Doch ein echter, populärer Star – als Interpret ohne kompositorische Nebenambition – wurde erst Albrecht Mayer und ebenso der sechs Jahre jüngere François Leleux.
Der 1971 ganz im Norden Frankreichs (in Croix) geborene Solist, verheiratet mit der Geigerin Lisa Batiashvili, sieht zwar ganz normal aus – und gehört zu den freundlichsten, kommunikativsten Musikern der Branche. Doch in Wirklichkeit hat Leleux seit Kindertagen alle Preise abgeräumt und alle Angebote erhalten, die der Beruf hergibt. Mit 6 Jahren kam er aufs Konservatorium (ab 14 in Paris). Im Alter von 18 Jahren wurde er erster Solo-Oboist an der Bastille-Oper (da hatte er Abbados Youth Orchestra of the European Community sowie das Orchestre National de France sogar schon hinter sich). Ein geborener Senkrechtstarter.
1992 konnte sich das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks glücklich schätzen, diesen Super-Oboisten für eine Solo-Stelle geangelt zu haben. Unter Maazel und Jansons blieb er zwölf Jahre. Danach übernahm er in München eine Professur, die er noch innehat. Und baute seine Solisten-Karriere aus. „Weil ich das Orchesterspiel liebe“, so Leleux, blieb er auch dann noch zehn Jahre beim Chamber Orchestra of Europe, das er erst im vergangenen Jahr verließ. Jetzt dirigiert er mehr. Der Mann, der sich selbstredend auch um die Erziehung der beiden Kinder kümmert (und zwar nicht zu knapp), ist ein Arbeitstier, das immer Zeit hat. „Rufen Sie jederzeit an, wenn Sie noch etwas brauchen“, wird er am Ende sagen. Leleux ist wohl das, was Frauen einen „Traum-Mann“ nennen.
Man würde denken, dass Leleux in die Oboen-Szene den französischen Klang seines Instruments zurückgebracht hat, wie er ihm auch entspricht. „Alle Oboen, die heutzutage gespielt werden, sind französische Instrumente“, so Leleux. „Alle von Marigaux“. Es gebe auch, während sich die nationalen Schulen immer mehr mischen, durchaus noch eine französische Art zu spielen. Sie besteht darin, den Ton brillanter, heller und ein wenig härter anzusetzen. „Die deutsche Schule dagegen“, so Leleux, „ist weicher und dunkler“. So weit, so übersichtlich.
Nur: „Ich bin ein Beispiel für die französische Oboenschule mit deutschem Klang!“, so Leleux. „Denn ich habe den dunklen Klang immer sehr geliebt.“ Dies sei, als er ins BR-Orchester gekommen sei, auch sogleich erkannt worden. „Die Kollegen damals haben direkt gesagt, ich spiele deutscher als mein deutscher Orchester-Kollege.“ So ist also François Leleux ein französischer Oboist mit deutschem Klang. Und Albrecht Mayer, nebenbei, ein deutscher Oboist mit französischem Klang. „Albrecht“, so sagt Leleux, „klingt viel französischer als ich!“
Albrecht Mayer, wie schon angedeutet, hat für die Oboe enorm viel bewirkt; und das neben seiner Vollzeitstelle bei den Berliner Philharmonikern. „Ich finde ihn toll“, räumt Leleux ein. „Albrecht hat ein Konzept, das hundertprozentig zu ihm passt“. Neben Holliger ist er es, der eine Art Durchbruch für die Oboe bewirkt hat. Denn einen Klassiker der Mono-Ära gibt es bei diesem Instrument nicht recht.

Bearbeitungsfreude, viele Aufträge und die patente Zusammenarbeit mit Agenturen und Ensembles haben gezeigt, dass in der Oboe ‚Musik drin ist’.

Zwar existierten auch früher prominente Oboisten, zu denen Pierre Pierlot, der Lehrer Leleux’, ebenso wie Maurice Bourgue und Léon Goossens gehörten. Doch wer kennt die?! Wilhelm Mühlfeld schaffte es – zur Zeit des Impressionismus – immerhin auf ein Porträt von Pierre-Auguste Renoir. Nach Antonio Pasculli, der einige Konzerte auch für sein eigenes Instrument komponierte, ist in Berlin die Fahrrad-Manufaktur eines weiteren Solo- Oboisten der Berliner Philharmoniker, Christoph Hartmann, benannt. Besonders breit und faktenreich ist die Erfolgsgeschichte der Oboe eigentlich nicht.
Wenn man sich fragt, was hier den Umschwung bewirkt hat, so findet man die Erklärung hauptsächlich in der Eigeninitiative, der Persönlichkeit und einem gewissen Unternehmertum von Solisten, die es wissen wollten. Bearbeitungsfreude, viele Aufträge und die patente Zusammenarbeit mit Agenturen und Ensembles haben gezeigt, dass in der Oboe ‚Musik drin ist’. Leleux etwa legt Wert darauf, in jedem Jahr „zwei neue Werke“ der Öffentlichkeit vorzustellen. „Dafür muss ich am besten ein Gast-Dirigat bei einem Orchester innehaben, und das ist ein Grund dafür, dass ich so gern dirigiere.“
Derweil werden Solo-Konzerte in normalen Orchester-Programmen immer seltener. Nicht einmal Mozarts Oboenkonzert ist regelmäßig zu hören. „Wir bleiben außen vor“, beInklagt auch Leleux. „Es ist immer dasselbe“, erzählt er. „Veranstalter glauben, es gäbe nicht genug Repertoire. Wenn man dann einmal mit ihnen ins Gespräch kommt, ist nach kürzester Zeit der Punkt erreicht, wo sie mir sagen: ‚Aufschreiben! Das ist ja so viel, das kann ich mir gar nicht alles merken!’“
Mit den „Esterházy-Konzerten“, also Haydns Oboen-Konzert und den für Oboe und Flöte bearbeiteten Konzerten für zwei Lyren (F-Dur und G-Dur) kann Leleux die Fülle von Meisterwerken, die er meint, souverän belegen. Diese Konzerte, ebenso wie die Oboen-Variationen von Johann Nepomuk Hummel, sind köstlich frische Sachen ohne Staub und pudrige Zöpfe. Mit Emmanuel Pahud hat Leleux den zurzeit besten Flötisten mit im Boot. Und das Münchener Kammerorchester spielt, als hätte es ein Leben lang nichts anderes gemacht. Köstlich! Bitte mehr davon.

Neu erschienen:

Joseph Haydn

Esterházy Concertos

François Leleux, Emmanuel Pahud, Münchener Kammerorchester

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Haydn und die Esterházys

Nicht zu verwechseln sind Schloss Esterházy in Eisenstadt (im österreichischen Burgenland) und Schloss Esterháza (auf ungarischer Seite). Mit beiden war Joseph Haydn als Hofkapellmeister eng verbunden. Von 1761 bis 1790, fast dreißig Jahre lang, komponierte er für die kunstliebenden Fürsten das Gros seiner Werke. Im (nicht erhaltenen) Theater von Schloss Esterháza führte er zahlreiche seiner Opern auf. Außerhalb der Wintermonate fielen bis zu 150 Aufführungen an, die Haydn leitete. Von dem im Rokokostil erbauten Landschloss ist heute ein Teil wieder als Museum zugänglich. In Eisenstadt, wo es auf Schloss Esterházy ein Haydn-Festival gibt, ist der Komponist auch begraben.

Robert Fraunholzer, 11.04.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2015



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