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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Das Drama des schönen Klangs

Anne-Sophie Mutter

Mozarts 250. Geburtstag und 30 Jahre Konzerttätigkeit, die mit Mozart begann, sind für die große Geigerin Anne-Sophie Mutter Anlass genug, die wichtigsten Werke des Salzburger Genies noch einmal einzuspielen. Über ihre neuen Sichtweisen, über „Schönheit und Eleganz“ und über ihre Rolle als Dirigentin unterhielt sich mit ihr Jörg Königsdorf.

RONDO: Frau Mutter, mit Mozarts Violinkonzerten hat Ihre Plattenkarriere einst begonnen. Jetzt, nach fast 30 Jahren, haben Sie diese Werke wieder eingespielt. Hat sich Ihr Mozart-Bild in dieser Zeit wesentlich geändert?

Anne-Sophie Mutter: Natürlich, schon die Besetzungsgröße ist eine andere. Damals, bei Karajan, schwelgten wir im samtigen, satten Klang eines vollen Sinfonieorchesters, spielten langsamere, getragene Tempi. Bei der neuen Einspielung mit dem London Philharmonic Orchestra sind viel weniger Musiker auf dem Podium, die Rondos wurden zum Teil in kammermusikalischer Quartettbesetzung aufgenommen. Das klingt transparenter und spritziger, auch weil die Tempi viel rascher sind. Eigentlich erscheint das paradox: Jetzt spiele ich Mozart viel frischer und jugendlicher als früher.

RONDO: Kleine Besetzung, spritzige Tempi: Das klingt, als sei Anne-Sophie Mutter durch die historische Aufführungspraxis beeinflusst worden.

Mutter: Zweifellos habe ich mir die positiven Charakteristika dieses Stils angeeignet. Anderem, wie zum Beispiel der Nivellierung auf eine nuancenarme Dynamik, stehe ich skeptisch gegenüber. Da brauche ich doch nur die Briefe von Vater und Sohn Mozart zu lesen: Beide waren begeisterte Anhänger eines schönen und empfindsamen Geigenklangs. Und außerdem darf man nicht vergessen, dass zur Zeit von Mozarts Geburt der Geigenbogen entscheidend weiterentwickelt worden ist – auf der Suche nach mehr Ausdruck und Flexibilität des Tones.

RONDO: Das heißt, Sie haben für Ihre Interpretation Quellenstudium bei Mozart selbst betrieben?

Mutter: Ich finde es immer interessant, die historischen Instrumente einmal anzuspielen. Vor kurzem waren mein Klavierbegleiter Lambert Orkis und ich beispielsweise im Salzburger Mozarthaus und haben einen Garser Flügel Mozarts aus den 1790er Jahren ausprobiert. Dieser klingt im Forte brutaler als ein modernes Klavier, und die Fortepiani, die Mozart oft vorschreibt, gewinnen dadurch eine ungewohnte Schärfe, während man die langsamen Sätze zwangsläufig viel flüssiger spielt. Und natürlich fließt diese Erfahrung in unsere Interpretation der Sonaten ein, auch wird Lambert fast kein Pedal benutzen.

Die Musiker sind an meiner Geige und an meinem Herzen angeschlossen.“

RONDO: Ist es überhaupt möglich, die Intimität von Mozarts Kammermusik in den großen Konzertsälen der Gegenwart noch zu bewahren?

Mutter: Ich glaube schon, dass die Intimität bestehen bleibt. Sie spielt sich nur auf einem anderen Level ab. Wenn ich in einem kleinen Saal spiele, ist das wie bei einem Kinofilm: Jede kleine Regung ist in Großaufnahme präsent. Im großen Konzertsaal ist es dagegen wie auf einer Theaterbühne: Damit Kleines präsent bleibt, muss ich einen anderen Maßstab anlegen – wie ein Schauspieler, der ja auch nicht wirklich flüstert, wenn er leise reden soll, aber dennoch diesen Eindruck erzielt.

RONDO: Sie sprachen von Mozarts Briefen. Haben Sie ein Bild vom Menschen Mozart, wenn Sie seine Musik spielen?

Mutter: Das Lesen der Briefe hat mir tatsächlich eine enorme Freude bereitet – angeregt hat es mich allerdings eher bei den Sonaten als bei den Konzerten. Ich halte es für einen Irrglauben unserer Zeit, dass man möglichst viel Privates über einen Komponisten wissen muss, um seine Musik zu verstehen. Die Interpretationshinweise stehen immer noch in den Noten, und ich muss nicht wissen, ob Mozart Erbsensuppe gegessen hatte, als er ein bestimmtes Stück schrieb. Umso wichtiger ist dann das Zwischenden- Zeilen-Lesen.

RONDO: Aber ich muss wissen, dass er ein großer Opernkomponist war und dass die menschliche Stimme das Maß seiner Melodien ist?

Mutter: Natürlich. Das ist für mich ohnehin selbstverständlich, weil mich die Nähe zur menschlichen Stimme überhaupt erst zur Geige gebracht hat. Ich wollte immer so spielen, dass man den Klang des Instruments wie Gesang wahrnimmt. Das gilt auch für meinen Zugang zu anderen Komponisten wie etwa Lutoslawski. Übrigens war das schon bei meinem Geigenunterricht so: Um die richtige Phrasierung zu finden, hat es mir immer geholfen, eine Stelle zuerst zu singen.

RONDO: Mozart steht derzeit als Komponist bei Ihnen an erster Stelle: Die Konzerte haben Sie bereits eingespielt, im nächsten Jahr folgen Sonaten und Klaviertrios. Haben Sie keine Angst, damit nur das zu erwartende Überangebot im Mozart-Jahr zu vergrößern?

Mutter: Darüber habe ich ehrlich gesagt nie nachgedacht. Auch weil diese Projekte schon lange in mir herangereift sind. An eine Neu-Einspielung der Konzerte denke ich, seit ich vor sechs Jahren begonnen habe, diese Stücke zu spielen und zu leiten. Und was die Sonaten und Trios angeht: Ich bin nun mal ein zykleninteressierter Mensch, mich reizt es, den Entwicklungsprozess im Schaffen eines Komponisten nachzuvollziehen – deswegen habe ich auch die Beethoven-Sonaten als Zyklus gespielt. Und die Entwicklung, die die Geige in Mozarts Kammermusik durchmacht, ist fast ebenso spannend: von der höflichen Begleiterin des Klaviers bis zur gleichberechtigten Partnerin.

RONDO: Es erstaunt auf den ersten Blick, dass Sie selbst dirigieren und nicht Ihr Gemahl André Previn.

Mutter: Ratschläge, wie ich das Beste aus den Musikern heraushole und auch zur Schlagtechnik, habe ich mir schon bei ihm geholt, gerade für die „Sinfonia concertante“, deren Orchesterpart sinfonisch angelegt ist. Aber für mich ist die Doppelfunktion die Herausforderung. Wenn man so viele Jahre als Solistin diese Werke aufführt, ist es einfach ein fantastisches Gefühl, wenn alle anderen Musiker quasi direkt an meiner Geige und meinem Herzen angeschlossen sind.

RONDO: Mit Ausnahme der „Concertante“ sind alle Konzerte Jugendwerke und vor Mozarts 20. Geburtstag entstanden. Sehen Sie in den Stücken trotzdem schon den großen Klassiker?

Mutter: Sicher, das Genie Mozart war mit dem Menuett KV 1 erkennbar. Da steckt schon alles drin: die engelhafte Schönheit, die Reinheit des Ausdrucks und die Perfektion der Form.

RONDO: Schönheit und Eleganz sind Worte, die oft fallen, wenn Sie Ihre Interpretationen beschreiben.

Mutter: Ja, aber ich will nicht, dass das falsch verstanden wird. Mein Schönheitsbegriff macht nicht an einer glatt polierten Oberfläche Halt. Schönheit ohne Drama, ohne dunkle Seiten gibt es für mich nicht, man könnte sie ohne diesen Kontrast auch gar nicht wahrnehmen. Für mich ist Schönheit auch die Reinheit des Ausdrucks – und nicht der flamboyante, aufgedonnerte Effekt. Schauen Sie sich doch beispielsweise die Schlüsse der Mozart-Konzerte an: Das ist ein leichtes, wunderbares Entschweben gen Himmel.

RONDO: Wenn Sie heute Ihre neue Einspielung hören: Ist da nicht doch noch ein Rest Karajan übrig geblieben?

Mutter: Die 13 Jahre mit Herbert von Karajan haben mich tief geprägt. Wie und ob Sie diesen Einfluss auch in meinen aktuellen Mozart- Aufnahmen wahrnehmen, überlasse ich Ihnen.

Neu erschienen:

Mozart

Violinkonzerte, Sinfonia concertante

Anne-Sophie Mutter, London Philharmonic Orchestra

DG/Universal

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Mozart

Violinsonaten

Anne-Sophie Mutter, Lambert Orkis

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Jörg Königsdorf, 14.02.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2005



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