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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Bernarda Fink

Drum singe, wem auch Tanz gegeben

Sie hat den Tango im Blut. Davon zeugt nicht nur ihre neueste CD mit argentinischen Liedern. Auch ihre Opern- und Liedaufnahmen atmen jenen besonderen Charme von Leidenschaft, Temperament und Hingabe. Vom belgischen Sänger und Dirigenten René Jacobs ließ sich die elegante Argentinierin jüngst wieder aufs Mozartparkett begleiten. Und das mit Bravour! Carsten Niemann traf die Mezzosopranistin in den Berliner Teldex Studios.

Ob man am Ende des bereits ausgedehnten Gesprächs noch eine Frage stellen dürfe, wollen wir wissen. Die Sängerin antwortet freundlich aber bestimmt: „Sie führen.“ „Geführt werden“ – das klingt, ebenso wie „lernen“, im Munde von Bernarda Fink nach einer erfrischend positiv besetzten Vokabel. Zugleich schwingt Selbstbewusstsein und Anspruch mit – vergleichbar dem einer virtuosen Tangotänzerin, die ihren Tanzpartner prüft. Die richtige Wahl für eine gelungene Balance mit ihren künstlerischen Partnern zu treffen und ihnen zum richtigen Zeitpunkt das nötige Vertrauen zu schenken, ist Bernarda Fink in ihrer Karriere immer wieder gelungen.
Musik und Gesang waren ihr schon seit Kindheit an vertraut. Sie und ihre ebenfalls musikalischen Geschwister wuchsen in Buenos Aires mit Liedern auf, die ihre Eltern sangen. Tief berührt, so Bernarda Fink, sei sie gewesen von den Schubert-Liedern, die ihr Vater, ein gelernter Jurist, vorzutragen pflegte, aber auch von den slowenischen Volksliedern, die zu Hause erklangen. Denn die Eltern waren nach dem Zweiten Weltkrieg vor den Kommunisten über Italien nach Argentinien emigriert. Dass eine große Zahl politischer Flüchtlinge, die nach Österreich geflohen waren und die man von dort in ihre Heimat zurück schickte, ermordet wurde, bedrückt Bernarda Fink noch heute. Ihre Großmutter, die in Slowenien geblieben war, konnte Bernarda Fink erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kennen lernen. Parallel zur Kultur im „kleinen Slowenien“, das ihre Eltern in Buenos Aires zu Hause pflegten, wurde die Sängerin mit der lebendigen argentinischen Musikszene groß: so etwa im Chor, wo sie erste Stimmbildung erhielt und den zu besuchen sie nicht erwarten konnte. Wie ihr Bruder Marcos dachte auch Bernarda Fink erst spät an eine Musikerkarriere. Drei Jahre studierte sie Erziehungswissenschaften. Doch mit 22, so berichtet sie, habe sie gespürt, dass sie ein größeres Bedürfnis hatte selbst zu lernen, sich und ihre Stimme zu bilden, als anderen etwas beizubringen. Die erste Zeit an der Opernschule des Teatro Colón erwies sich jedoch als hart: Sie wurde zum Sopran getrimmt, bis ein weitsichtiger Professor den Mezzosopran in Bernarda Fink entdeckte.

Der Durchbruch zur Opernsängerin und zu einem gefragten Star der Barockszene um Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner und René Jacobs kam für Bernarda Fink in den 80er Jahren. Sie war nach Wien übergesiedelt, wo sie mit ihrer Familie noch heute lebt. Kurzfristig suchte René Jacobs für eine Produktion von Händels Oper „Flavio“ nach einer Sängerin, die für eine erkrankte Kollegin einspringen sollte. Wenige Tage standen zur Vorbereitung „und ich hatte keine Ahnung von Barockoper“, erinnert sich Fink lachend. Doch in kürzester Zeit assimilierte sie die fremde Musiksprache. Noch heute schwärmt sie von der intensiven Vorbereitung mit Jacobs, der sie mit Geduld und Leidenschaft in die Welt der barocken Phrasierungen, Kadenzen und Verzierungen einführte. Dennoch – es war künstlerisch ein Geben und Nehmen. Denn Bernarda Fink brachte in die Aufnahme in historischer Aufführungspraxis zugleich einen eigenen Ton hinein: Sie verband virtuose Beweglichkeit der Stimme mit pastoser Sinnlichkeit, bewusst stilsichere Gestaltung mit Authentizität des Ausdrucks. Auch in der künstlichen Welt der barocken und frühklassischen Oper hat Bernarda Fink nicht den Kontakt verloren zur natürlichen Ausdruckskraft des Lieds, seiner einfachen aber tiefen Verbindung zwischen Text und Musik. „Edle Einfalt, stille Größe“, hätte man zu diesem Ideal einst wohl gesagt. Fink, zu deren Lieblingskomponisten Monteverdi gehört, sagt: „Es ist nicht der Entertainmentcharakter, der mich an der Barockoper interessiert.“
Fast mag es verwundern, dass Bernarda Fink den Schritt zu dem zweiten großen Schwerpunkt ihres Schaffens, dem Liedgesang, erst relativ spät wagte, obwohl sie in ihrer Heimat Lieder schon sehr früh gesungen hatte. Respekt der Argentinierin vor der europäischen Tradition spielte bei diesem Zögern eine Rolle – und doch hatte sie das Deutsche, Sprache der von ihr besonders geschätzten großen Liederkomponisten Schumann und Brahms, längst akzentfrei gelernt. Ein Anruf des Pianisten Roger Vignoles Ende der 90er Jahre änderte die Situation schlagartig: Er fragte bei Fink an, ob man nicht gemeinsam Liederabende geben könne. Der Funke sprang über, auf gemeinsame Auftritte folgten wichtige Aufnahmen – entstanden in der konzentrierten Atmosphäre des Aufnahmestudios. Auch bei der Auswahl des Repertoires schätzt sie den Austausch mit dem Pianisten. Dankbar ist sie ihm etwa, dass er sie als Ergänzung zu Schumanns „Frauenliebe und -leben“ (einer musikalischen Jugendliebe von Bernarda Fink), auf die unbekannteren Lenau- Vertonungen aufmerksam machte. Eine Erinnerung an einen sechsjährigen Aufenthalt in Prag und zugleich an Finks slawische Wurzeln stellte ihr Dvořák-Album dar. Mit ihrem neuesten Album „Canciones Argentinas“, das sie diesmal nicht mit Vignoles, dafür aber gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Bassbariton Marcos Fink, aufgenommen hat, präsentiert sich die Wanderin zwischen den Welten von ihrer argentinischen Seite. Mit dem Repertoire wollen beide aber weniger alte familiäre Zeiten beschwören, oder gar lateinamerikanische Klischees bedienen, sondern ihre Zuhörer mit der noch viel zu unbekannten argentinischen Musikkultur bekannt machen. So bieten sie nicht bloß Stücke von Astor Piazzolla, sondern auch Werke von Komponisten wie Carlos Guastavino (1912–2000) und Carlos Lopez Buchardo (1881–1948). Sie waren nicht nur für die Entwicklung der argentinischen Musikszene von Bedeutung, erklärt uns Fink. Für die Interpreten gebe es in ihren Kunstliedern ebenso viele Feinheiten des Ausdrucks zu entdecken wie in einem Schubertlied. Wir glauben es ihr sofort: Die Sängerin aus dem Land des Tangos weiß genau, wen sie zum Tanze bittet.

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Canciones Argentinas

Bernarda Fink, Marcos Fink

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Mozart

La clemenza di Tito

Mark Padmore, Alexandrina Pendatchanska, Bernarda Fink, Marie-Claude Chappuis, Sergio Foresti, Sunhae Im, RIAS Kammerchor, Freiburger Barockorchester, René Jacobs

harmonia mundi

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Carsten Niemann, 20.12.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2006



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