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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Marco Borggreve

Patricia Kopatchinskaya

Gegen den Strich

Der extremistischen Patricia Kopatchinskaya ist das bisher schönste Porträt der Schostakowitsch-Schülerin Galina Ustvolskaya gelungen.

Die „Wildsau“: Dies Etikett wird Patricia Kopatchinskaya wohl nie wieder los werden. Das unvorsichtige Wort, vor Jahren gegenüber einem deutschen Nachrichtenmagazin geäußert, wird seither um und um zitiert – zum Graus und zum Verdruss der Künstlerin. „Wenn andere das Hausschwein sind, dann bin ich die Wildsau: ungekämmt und eher schmutzig“, so sagte Patricia Kopatchinskaya damals. Das Dumme ist: Es stimmt ja! Sogar ihr Ton ist kratzbürstiger, splissikomponieger, dreckiger als der jeder anderen Geigerin.
Gewiss war’s gar nicht so dumm. „Der Schmutz ist das Schönste an der Musik“, hat Nikolaus Harnoncourt als Gegensatz zum Saubermann-Ideal der Karajan-Ära einst verkündet. Patricia Kopatchinskaya folgt dem Opponenz-Aufruf als die spontanste, unbändigste und damit unverwechselbarste Geigerin der Gegenwart. Und ist so lebende Widerlegung des grassierenden Mittelmaßes. Extremistisch, unbelehrbar, überwältigend.
Noch eine zweite Eigenschaft dieser Künstlerin ist derart oft in den Vordergrund gerückt worden, dass Kopatchinskaya spontan einschnappt, wird sie darauf angesprochen: ihre Barfüßigkeit. Sie geht grundsätzlich unbeschuht, unbestrumpft und auf nackten Sohlen aufs Konzertpodium. Was übrigens dazu führt, dass bei ihr immer besonders sauber gefegt sein muss. Die Genese dieser Besonderheit ist banal. Sie hatte einst die Schuhe vergessen. Ihr gefiel’s.
Seitdem verpasst sie sich freiwillig bei jedem Auftritt eine musikalische Fußmassage. Und musiziert gewiss roher, zumal die Nerven der Hand mit denen der Füße direkt verbunden sind. „Ich äußere mich nicht mehr dazu“, beharrt sie, wenn man sie auch nur fragt, ob sie an diesem Brauch noch festhält. Sie tut es, wie jüngste Konzerterfahrungen beweisen.
Die Tochter eines in ihrer moldavischen Heimat berühmten Zymbal-Spielers emigrierte 1989 mit ihrer Familie nach Wien. Die Anfänge waren hart, die Eltern konnten sich finanziell nur über Wasser halten, indem sie in einem Restaurant zur Unterhaltung aufspielten. Als sie 21 Jahre alt war, wechselte sie nach Bern ans dortige Konservatorium. Heiratete daselbst und bekam eine Tochter. 2008 begann sie für das französische Label naïve aufzunehmen, wo in rascher Folge sechs sehr schöne Alben erschienen. Meist mit modernem Repertoire, begleitet unter anderem von Fazıl Say und der (2012 verstorbenen) Pianistin Mihaela Ursuleasa.

„Es gibt viel zu wenige Psychopathen in der Musik.“

Mit diesen Platten etablierte sich „Patkop“, wie man sie vorübergehend nannte, als eine der glänzendsten Kommunikatorinnen von Neuer Musik, die es in der Gegenwart überhaupt gibt. „Wir sind alle nur Krüppel“, sagt sie in Bezug auf die Tatsache, dass richtige Musiker auch komponieren müssen. „Heinz Holliger ist der einzige Musiker, den ich kenne.“ Very outspoken wie immer. Es gebe auch „viel zu wenige Psychopathen“ in der Musik, legt sie nach. Um zu präzisieren: „... man muss den Zugang zu den anderen Welten suchen, langweilige Normalität vermeiden, die eigene Vision haben und die auch verfolgen.“
Danach befragt, ob alle Musik, selbst Bach, ein gewisses ‚zigeunerisches’ Element rustikaler Folklore braucht, sagt sie ehrlich: „Ich jedenfalls kann gar nicht anders.“ Und hat damit die große Stärke ihres Musizierens auf den Punkt gebracht. Denn Kopatchinskaya ist nicht nur die zirzensischste, auf der Bühne buchstäblich Veitstänze aufführende Musikerin auf weiter Flur. Ihr Ideal ist ein „Stylus fantasticus“ – so nennt sie es selber.
Sie hat damit bisher noch fast jedes Publikum geknackt. Und inzwischen auch mehr und mehr Freunde unter den Dirigenten gefunden. Philippe Herreweghe, Peter Eötvös und Vladimir Jurowski arbeiten regelmäßig mit ihr. Das Debüt bei den Berliner Philharmonikern war kürzlich ein so großer Erfolg, dass der Saal sogar bei der anschließenden Nacht-Session mit Moderne und englischen Renaissance-Stücken voll blieb. Von der Performance: eine Musikerin von vollendetem Charme.
Die großen Schinken des Violin- Repertoires meidet sie lieber. Außer Beethoven und Tschaikowski ist bei ihr in dieser Hinsicht nichts zu holen. „Es braucht mich da nicht“, meint sie. „Seit 70 Jahren spielen die Geiger nur noch Romantik“, das sei doch ungesund. Kein Wunder, dass irgendwann Manfred Eicher von ECM auf ein Talent aufmerksam werde musste, das sich dem Mainstream-Kunstflitter so standhaft verweigert.
Mit ihrer neuen CD mit den drei großen Violin-Werken von Galina Ustvolskaya hat sich Kopatchinskaya sogar einen Lebenstraum erfüllt. „Ich finde sie stärker und ehrlicher als Schostakowitsch selber“, sagt sie über die Schostakowitsch-Schülerin, die sie (vor deren Tod 2006) noch persönlich kennenlernen konnte. „Ihr Mann musste die vielen Werke verbrennen, die sie später nicht mehr anerkannte“, so Kopatchinskaya. Mit dem Duett, Trio und der Violinsonate, die sie gemeinsam mit Markus Hinterhäuser (und Reto Bieri) spielt, ist ihr tatsächlich das bislang rundeste, abwegig intensivste Porträt dieser Komponistin gelungen. So schmutzig-schön, dass es süchtig macht. Wunderbar.

Neu erschienen:

Galina Ustvolskaya

Sonate für Violine & Klavier u.a.

Patricia Kopatchinskaya, Reto Bieri, Markus Hinterhäuser

ECM/Universal

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Dame mit Hammer

Galina Ustvolskaya (1919 – 2006), die neben Sofia Gubaidulina bedeutendste russische Komponistin des 20. Jahrhunderts, studierte 1937 bis 1947 bei Dmitri Schostakowitsch. Dieser sagte: „Ich bin überzeugt, dass die Musik von Galina Ustvolskaya weltweite Anerkennung finden wird, geschätzt von allen, für die Wahrheit in der Musik an erster Stelle steht.“ Der karge, spirituelle und mysteriöse Charakter ihrer oft homophon-repetitiven Werke führte dazu, dass man sie als „die Dame mit dem Hammer“ karikierte. (Die Sichel indes fehlt.) Ustvolskaya, die nur ein kleines Häuflein ihrer Kompositionen gelten ließ (der Rest wurde vernichtet), stellt eines der großen, ungelösten Rätsel der Musikgeschichte dar.

Robert Fraunholzer, 18.10.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2014



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