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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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François Leleux

Oboen-Belcanto

Mindestens einmal im Leben muss jeder Oboist das Standard-Repertoire von Vivaldi bis Bellini gespielt haben. Nun hat der französische Star-Oboist François Leleux nicht nur ausgewählte Konzerte der Italiener eingespielt. Wie er RONDO-Autor Reinhard Lemelle verriet, ist seine Huldigung an den »Charme der Oboe« auch eine Verbeugung vor einem berühmten Lehrer.

Wann genau die Scheibe auf dem Traditionslabel Erato erschienen ist, weiß François Leleux nicht mehr genau. Jedenfalls gehörte »Le charme du hautbois« schon in seiner Kindheit zu seinen Lieblingsplatten. Eingespielt hatte sie noch zu Vinyl-Zeiten Pierre Pierlot zusammen mit dem Orchestre de Chambre Jean-François Paillard, und für jeden französischen Oboisten war diese Aufnahme damals überhaupt ein Erweckungserlebnis. Denn Pierlot hatte da die Oboen-Concerti von Vivaldi, Marcello, Cimarosa und Bellini nicht einfach schön gespielt, sondern vielmehr traumhaft schön gesungen. Dank einer nicht zuletzt technischen Brillanz, auf die selbst der als Pädagoge berühmte Solist immensen Wert gelegt hatte.
Auch François Leleux weiß das nur zu gut. Denn als er mit 14 Jahren an das Pariser Conservatoire National Supérieur de Musique wechselte, kam er gleich unter die Fittiche seines einstigen Plattenhelden. »Pierre Pierlot ist leider vor fünf Jahren gestorben«, so Leleux über seinen alten Lehrer, der ihn technisch und im Ausdruck maßgeblich prägte. »Daher wollte ich jetzt unbedingt mit einer Einspielung an ihn erinnern.« Doch für seine Hommage hat Leleux nicht nur die italienischen Oboen-Konzerte bzw. Komponisten ausgewählt, die Pierlot auf seinem Bestseller-Album eingespielt hatte, Leleux’ CD trägt auch genau denselben Titel: »Le charme du hautbois« bzw. »Der Charme der Oboe«.
Neben den Original-Concerti von Vivaldi und dem Belcantisten Bellini übernahm Leleux von seinem Vorbild auch das Arrangement eines Cimarosa-Konzerts, dessen vier Sätze ursprünglich für Cembalo komponiert worden waren. Und als besondere »kleine Süßigkeit« hat der Oboist zudem ein Stück aufgenommen, das ein enger Freund Pierlots zu einem wahren Hit machte. »Der Flötist Jean-Pierre Rampel hat regelmäßig die Air ’Reigen seliger Geister’ aus Christoph Willibald Glucks Reformoper ’Orphée et Eurydice’ gespielt. Und es war immer wieder himmlisch, wenn ich es von ihm live gehört habe. Sein Ausdruck war einfach überwältigend.« Ähnliches lässt sich nun natürlich auch von Leleux’ Können behaupten, was eigentlich nicht verwundert. Immerhin hat der 40-Jährige sich allein auf seinen vielen Einspielungen mit Werken von Bach über Mozart bis Strauss als begnadeter Oboen-‚Sänger‘ erwiesen. Angesichts der edlen Kantabilität, die sich speziell durch das vorliegende italienische Repertoire zieht, lüftet er endlich das Geheimnis, warum gerade die Oboe so ein herrliches Arien-Instrument ist. »Das liegt einfach nur am Bau der Oboe. Die Bohrung ist im Gegensatz zur Flöte und Klarinette konisch, also am Mundstück enger als am Schallbecher. Die menschliche Stimme hat auch einen konischen Schallraum. Die Oboe besitzt aber sogar mehr Charme als die Stimme, weil man auf ihr unglaublich lange Melodiebögen spielen – und damit den Hörer auch länger verzaubern kann.«
Für diese Kunst benötigt man neben aller Technik aber einen ausgesprochen goldenen Atem. Und dass François Leleux damit gesegnet ist, konnte er schon früh beweisen, als er bereits mit 18 Jahren als Solo-Oboist an die Pariser Oper geholt wurde. Seitdem ist Leleux’ Karriere steil nach oben gegangen. Er konzertiert mit namhaften Dirigenten wie Mariss Jansons und Alan Gilbert. Und als begeisterter Kammermusiker war er an der inzwischen schon legendären, vom Pianisten Eric Le Sage initiierten Schumann-Gesamteinspielung beteiligt.
Trotz all der internationalen Verpflichtungen und Gastspiele vernachlässigt François Leleux auch seine Professur nicht, die er seit 2004 an der Hochschule für Musik und Theater in München hat. Er zog sich zwar soeben erst mit seiner Familie für ein Jahr nach Frankreich zurück, bis man aber wieder fest nach München zurückkehrt, fliegt er mehrmals im Monat von Paris aus zu seinen Studenten. Und wie sein Lehrer Pierre Pierlot verlangt er von ihnen auch das, was ihn groß gemacht hat: eine brillante Technik!

Antonio Vivaldi, Benedetto Marcelli u.a.

Der Charme der Oboe

François Leleux, Münchner Kammerorchester

Sony

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Reinhard Lemelle, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2012



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