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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Mustikstadt

Weimar: Der Musen-Witwensitz

Bach orgelte in der Schlosskirche, Liszt und Richard Strauss schwangen im Hoftheater den Taktstock: Weimar ist nicht nur die Wirkungsstätte der deutschen Klassiker, sondern auch eine Musikstadt mit über 500-jähriger Tradition. Jörg Königsdorf hat die andere Seite der Goethestadt erkundet.

Gegen Goethe und Schiller kommt keiner an. Wie ein Stein gewordenes doppeltes Ausrufezeichen macht das Denkmal der Dichterdioskuren auf dem Theaterplatz noch dem unbedarftesten Touristen auf den ersten Blick klar, wer in Weimar die Hauptrolle spielt. Weimar, das bedeutet für die allermeisten der Abermillionen Besucher nach wie vor Frauenplan und Schillerhaus, Anna-Amalia-Bibliothek und ein Gruppenfoto zu Füßen der Dichterfürsten. Die Musik hat da, so scheint es, kaum eine Chance, und wer ihre Spuren sucht, tut gut daran, sich an Seitenwege zu halten, auf halbversteckte Büsten und Gedenktafeln zu achten und am besten gleich zum hintersten Ende der Stadt weiterzugehen. Denn dort, in der Marienstraße, die aus der Stadt zum etwa 20 Minuten entfernten Lustschlösschen Belvedere führt, steht das einzige Museum, das in Thüringens Kulturmetropole der Tonkunst gewidmet ist: das Liszthaus, das im Herbst letzten Jahres nach einer grundlegenden Umgestaltung wiedereröffnet wurde. Viel Staat lässt sich mit dem einstöckigen klassizistischen Gebäude freilich nicht machen. Der Virtuosenkönig, der von 1842 an über 40 Jahre das Weimarer Musikleben prägte und von 1869 an mehrere Monate jährlich in dieser ehemaligen Hofgärtnerwohnung logierte, gab sich auffällig bescheiden bei der Wahl seiner Residenz – das weitgehend erhalten gebliebene Obergeschoss mit seinem kaum die Maße eines gutbürgerlichen Wohnzimmers übersteigenden Salon kann noch immer die zwanglose Atmosphäre vermitteln, in der der weißmähnige Meister seine Schüler um sich scharte. Ein behagliches Plüschparadies mit Kamin und Bechsteinflügel, in dem heute vermutlich weit weniger los ist als zu Liszts Lebzeiten, in denen es für jeden ehrgeizigen Tastenheroen zum guten Ton gehörte, sich den Segen des Abbés zu holen. Dass die Zeit auch hier nicht stehen geblieben ist, wird im Untergeschoss demonstriert: Ein Multi-Media- Rundgang mit extravagantem Wanddesign versucht optisch und akustisch die Bandbreite und den historischen Kontext von Liszts Schaffen zu veranschaulichen. Wer will, kann sich durch die bedeutendsten Werke zappen, und auf Nachfrage wird auch eine Klanginstallation aus einer längs durch alle Stockwerke gespannten Klaviersaite angestellt.
Dass Franz Liszt, Hofkapellmeister von 1848 bis 1861 und Namenspatron der Musikhochschule, die musikalische Nummer eins der Stadt ist (und der einzige Musiker, dem die Ehre eines Ganzkörperdenkmals zugestanden wurde), hängt allerdings auch damit zusammen, dass die kleine Residenzstadt für die beiden wichtigsten Konkurrenten für die musikalische Identitätsstiftung nur eine vorübergehende Karrierestation war: Richard Strauss brachte während seiner fünfjährigen Amtszeit als zweiter Kapellmeister am Hoftheater zwar Hits wie „Don Juan“ und „Tod und Verklärung“ oder auch 1893 Humperdincks „Hänsel und Gretel“ zur Uraufführung, wollte jedoch anschließend nur noch herzlich wenig mit Weimar zu tun haben. Und Johann Sebastian Bach, der hier nach einem ersten Kurzengagement als Jungmusiker 1708 auf den Posten eines Organisten und später Konzertmeisters der herzoglichen Kapelle zurückkehrte, hatte nach neun Jahren genug von den Querelen zwischen den Angehörigen des ernestinischen Fürstenhauses und ließ sich gen Köthen abwerben.

In Weimar hat man offenbar gelernt, mit Krisensituationen konstruktiv umzugehen.

Von Bachs einstigem Wohnhaus, in dem seine Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emmanuel zur Welt kamen, sind heute nur noch die Fundamente erhalten. Um die Partituren, die der spätere Thomaskantor in Weimarer Diensten schrieb, ist es nicht viel besser bestellt. Ein Großteil ging mitsamt der umfangreichen Musikaliensammlung der Herzöge verloren, als das Residenzschloss 1774 bis auf die Grundmauern abbrannte – eine Katastrophe, die für die Musikgeschichte Weimars von ähnlicher Tragweite war wie der Brand der Anna-Amalia- Bibliothek in der Nacht des dritten 3. September 2004.
Von den 2.100 Drucken und 700 Handschriften, die sich in der Musikaliensammlung der Herzoginnen Anna Amalia und Maria Pawlowna befunden hätten, seien ganze 47 übrig geblieben, resümiert Angelika von Wilamowitz-Möllendorff, die Hüterin der Musiksammlungen. Musik von Anna Amalia selbst, die unter anderem Goethes Singspiele „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ und „Erwin und Elmire“ vertonte, aber auch Werke des ab 1819 am Weimarer Hof wirkenden Johann Nepomuk Hummel stehen auf der Verlustliste, auch wenn einiges davon in den 90er Jahren immerhin auf Mikrofilm dokumentiert wurde und Wilamowitz- Möllendorff dank der umfangreichen Spenden unter anderem von der Anne-Sophie-Mutter- Stiftung inzwischen gut 225 Musikalien wieder anschaffen konnte. „Außerdem sind unsere Musikbestände immer noch umfangreich. Die 3.000 Objekte fassende Lisztsammlung und die Goethevertonungen – allein 500 „Faust“-Vertonungen – sind zum Glück komplett erhalten geblieben, weil sie nicht auf der zweiten Galerie unterm Dach gelagert wurden“, beruhigt die Bibliothekarin.
In Weimar hat man offenbar gelernt, mit Krisensituationen konstruktiv umzugehen. Auch am Deutschen Nationaltheater, in dem sich einst die Abgeordneten der Verfassung gebenden Versammlung der ersten deutschen Republik versammelten, arbeitet man seit zehn Jahren unter mehr oder weniger akuten Krisenbedingungen und wehrt sich gegen die von der Landesregierung angestrebte Fusion mit dem Theater Erfurt. Seit einem halben Jahr ist das DNT wieder einmal akut bedroht – geht es nach dem Willen des Erfurter Intendanten Guy Montavon, kommen die repräsentativen Musiktheaterproduktionen künftig aus dem schicken neuen Opernhaus der Landeshauptstadt, während in Weimar nur noch Schauspiel inszeniert wird – mit einem Bruchteil des bisherigen DNT-Personals. Ob es wirklich soweit kommt oder ob das 850-Plätze-Haus nicht doch den ersehnten und absichernden Status eines Staatstheaters bekommt, weiß im Moment noch niemand. In solch einer prekären Situation hat es weit mehr als künstlerische Signalwirkung, dass das Nationaltheater ein Mammutprojekt wie den „Ring des Nibelungen“ stemmt. Denn natürlich gehört auch Wagner zu jenem „silbernen Zeitalter“ Weimars: Als Hofkapellmeister protegierte Liszt nicht nur Berlioz und Saint-Saëns, sondern vor allem seinen Schwiegersohn in spe: Der „Tannhäuser“ wurde schon früh in Weimar gegeben, der „Lohengrin“ hier 1850 uraufgeführt. Damit ist Weimar ein bisschen auch Wagnerstadt, und mit seiner Staatskapelle besitzt es auch ein Orchester, das ähnlich wie seine Staatskapellengeschwister in Berlin und Dresden einen typisch altdeutschen, warmschummrigen Wagnersound besitzt. Gerade setzt die Musikerhundertschaft an, auch international zu punkten: Die erste CD im Rahmen einer langfristig angelegten Zusammenarbeit mit Naxos, Richard Strauss’ „Alpensinfonie“, erntete vor allem im Ausland Lobeshymnen, als nächste Veröffentlichungen stehen Liszts „Ungarische Rhapsodien“ und Orchesterlieder von Richard Strauss (mit Weimars Ex- Ensemblemitglied und Bayreuth- „Elisabeth“ Ricarda Merbeth) an.
Ein Prestigegewinn, der auch in Weimar selbst zur Kenntnis genommen wird: Die Konzerte des Orchesters in der 1999 wiedereröffneten, 1.000 Plätze fassenden Weimarhalle sind rappelvoll, und auch in der neuen „Walküre“ feiert das Publikum sein Orchester und den Chefdirigenten Carl St. Clair ganz besonders. Seit 2005 ist der Texaner in Weimar, doch schon jetzt steht fest, dass das Nationaltheater für ihn nur eine Durchgangsstation war, um das Operndirigieren von Grund auf zu lernen. Mit Ablauf der nächsten Saison wird der 48-Jährige der Klassikerstadt den Rücken kehren und als Generalmusikdirektor der Komischen Oper einen Posten in der Hauptstadt annehmen. Verübeln wird ihm das in Weimar keiner. Bach und Richard Strauss haben es schließlich auch nicht anders gemacht.

Kunstfest Weimar: Intimitätskultur

Mit Ideenreichtum, Neugier, Intelligenz und jeder Menge Mut zu neuen Ansätzen leitet Nike Wagner – ganz im Gegensatz zur Bayreuther Verwandtschaft – das Kunstfest Weimar. Für RONDO stand sie Jörg Königsdorf Rede und Antwort.

RONDO: Die Staatskapelle hat ihre Reihe „Composer in Residence“ wegen mangelnder Resonanz eingestellt, Paul Maenz hat seine Sammlung moderner Kunst größtenteils wieder aus Weimar zurückgezogen. Hat zeitgenössische Kunst in Weimar überhaupt eine Chance? Und wenn ja, wie muss man sie präsentieren?

Nike Wagner: Viel Kummer in der Tat mit dem Zeitgenössischen in Weimar, immer schon. Denken Sie an die historischen Austreibungen ... Franz Liszt, das Bauhaus. Das hat aber nicht nur mit Verbohrtheit auf die Klassik zu tun, sondern auch mit der Kleinheit der Stadt. Für Ausdifferenzierungen innerhalb der Kunstsphäre ist offenbar nicht genug Publikum da. Dennoch, dennoch. Wir müssen die freundlichsten Vermittlungsenergien mobilisieren, denn auch das Alte war schließlich einmal neu ...

RONDO: Auch das Kunstfest war ja bereits in der Kritik. Haben Sie aus Ihren Erfahrungen gelernt?

Wagner: Kritik am Kunstfest kommt ausschließlich aus ganz präzisen politisch/touristischen Bezirken in Weimar. Leider widersprechen die Rufe nach mehr Spektakel, Unterhaltung und Show, die dort ertönen, dem „Label“ Weimar und seiner Intimitätskultur erheblich und würden ein neugieriges, intelligentes Publikum „von außen“ eher verjagen. Aber bitte, wir lernen und sind elastisch. In diesem Jahr ist eine Menge Jazz dabei, Nachtfeste, Kulinarik, lockere Dinge.

RONDO: Das Motto „Souvenir“ klingt auf den ersten Blick nicht gerade konkret. Was für eine Idee verbirgt sich dahinter und welche Verbindungslinien bestehen zwischen den zentralen Programmpunkten?

Wagner: Ein Festivalmotto ist niemals konkret, sonst wäre es eine Zwangsjacke. Als strukturierende und dramaturgische Maßnahme muss das Motto vielmehr ein Bedeutungsnetz spannen, von dem manche Veranstaltungen dann stark und manche weniger stark eingefärbt werden. „Souvenir“ im Sinn von „Andenken“ wird konkret vor allem in einer Ausstellung („Le Souvenir. Kultobjekte – neu inszeniert“). Im Sinne von „Gedächtnis, Erinnerung“ erscheint das Motto in Vorträgen, Diskussionen, poetischen Texten und in bestimmten musikalischen Fragestellungen („Souvenir Avantgarde“). Daneben gibt es immer die eigenen Veranstaltungsreihen wie das Musikprojekt des „Artist in Residence“ András Schiff oder den Tanzschwerpunkt. Weimar, selbst schon der Erinnerungsort par excellence, braucht auch 2007 den frischen Wind der Gegenwart!

RONDO: Wie setzt sich das Publikum zusammen?

Wagner: Das Publikum besteht wie überall aus verschiedenen Segmenten, Altersklassen, Interessensgruppen. Den unverzichtbaren Fundus bildet das heimische und regionale Publikum. Etwa 45 Prozent aber kommt bereits aus überregionalen – meist westlichen – Gegenden, darunter auch aus dem Ausland: Fast alles ist „Ausland“, von Weimar aus gesehen ...

Jörg Königsdorf, 09.08.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2007



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