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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Alexandre Tharaud

Mit entspannten Ellbogen

Mit Rameau kam der Erfolg: Seine Aufnahme mit Klaviersuiten machte Alexandre Tharaud vor fünf Jahren zum Hoffnungsträger der Pianistenszene. Jetzt hat sich der 37-Jährige dem zweiten Großmeister des französischen Barock zugewandt. Und in Frankreich rangiert sein Album „tic toc choc“ mit Klavierstücken François Couperins auch schon ganz oben in den Klassikcharts. Jörg Königsdorf eilte eigens in die Heimatstadt des Pianisten – nach Paris.

RONDO: Monsieur Tharaud, Sie scheinen sich mit Vorliebe Musik auszusuchen, um die Ihre Kollegen einen großen Bogen machen. Rameau, Couperin, Schuberts vierhändige Werke, Bachs Bearbeitungen italienischer Konzerte ...

Alexandre Tharaud: Das ist sozusagen meine Existenz als Aufnahmepianist. Aber keine Sorge, in meinem anderen Leben als Konzertpianist spiele ich auch das Mainstream- Repertoire. Mein nächster Auftritt in Deutschland ist zum Beispiel mit Beethovens drittem Klavierkonzert. Aber im Moment würde ich keine Beethoven-CD aufnehmen wollen. Es gibt doch schon so viele großartige Einspielungen.

RONDO: Das könnte man allerdings auch von Ravels Klavierwerk behaupten.

Tharaud: Nach meiner Rameau-CD war es für mich einfach die logische Fortsetzung, Ravel einzuspielen. Für mich ist Ravel sozusagen der Urenkel von Rameau und Couperin. Als Pianist kann ich diese Musik mit der gleichen Technik, dem gleichen Klang spielen. Ich glaube, er war sich dieser Verbindung selbst auch bewusst – denken Sie an sein „Tombeau de Couperin“. Sowohl bei Ravel als auch bei Rameau gibt es diese Verbindung von großen Linien mit einer Fülle kleinster Details. Es kommt in beiden Fällen darauf an, den leichten Diskurs hinter diesen Einzelheiten, eine gewisse Doppelbödigkeit hörbar zu machen.

RONDO: Gilt das nicht für französische Musik ganz allgemein?

Tharaud: Sicher, nehmen Sie die Groupe des Six mit Poulenc und Milhaud, nehmen Sie Debussy mit seiner „Hommage à Rameau“ oder auch Emanuel Chabrier, der in seinen „Pièces pittoresques“ als erster ein historisierendes Menuett geschrieben hat – überall haben Sie diese spielerische Auseinandersetzung mit der Tradition, das Spiel mit der Balance zwischen klarer Form und lebendigen Details.

RONDO: Muss man Franzose sein, um für diese Musik eine Ader zu haben?

Tharaud: Ausländer spielen französische Musik oft einfach zu ernst. Um Rameau, Couperin und Ravel zu verstehen, muss man das Leben lieben: guten Wein, gutes Essen. Man braucht Sinnlichkeit und Sinn für Humor. Sicher kann man das alles vielleicht auch besitzen, wenn man in Peking aufgewachsen ist. Aber ich glaube zumindest, dass es mir sehr geholfen hat, dass ich von meiner Kindheit an sehr viel von diesem guten französischen Geist aufgenommen habe: Ich lebe nicht nur in Paris, sondern bin hier auch geboren, und meine Großmutter wohnte in Pigalle, gleich beim Montmartre. Da habe ich mich als Kind immer herumgetrieben und habe dieses schillernde Leben mit allen Sinnen aufgenommen.

RONDO: Neben den französischen Komponisten scheint Sie Chopin besonders zu interessieren: Sie haben die Walzer aufgenommen, Ihr nächstes Projekt sind die Préludes. Ist Chopin für Sie auch ein Franzose?

Tharaud: Nein, in seiner schwermütigen Nostalgie ist Chopin für mich schon sehr polnisch. Aber dennoch sehe ich eine Verbindungslinie von Couperin zu Chopin. Die Musik von beiden ist sehr intim, benutzt im Grunde sehr wenig Material und einen kleinen Klang, man spielt sie mit entspannten Ellbogen. Sowohl Couperin wie Chopin waren übrigens kleine, schlanke Männer – so wie ich auch.

"Bevor ich Rameau für mich entdeckt hatte, fühlte ich mich unglücklich und unfrei, das konventionelle Repertoire war wie ein Gefängnis für mich."

RONDO: Kann man so subtile Klänge überhaupt im Konzertsaal vermitteln?

Tharaud: Ich glaube schon, dass das möglich ist. Für mich war es ein Schlüsselerlebnis, als ich einmal Michel Serrault in einem bekannten französischen Theaterstück hier in Paris erlebt habe: Die wichtigsten Stellen seiner Rolle hat er manchmal nur geflüstert – vor 2.000 Leuten! Und trotzdem hat ihn jeder verstanden. Und als ich in Buenos Aires im Teatro Colón vor 4.000 Menschen gespielt habe, habe ich die gleiche Erfahrung gemacht.

RONDO: Auf Ihrer Rameau-CD spielen Sie die vollständigen Suiten, bei Couperin haben Sie sich dagegen für eine freie Zusammenstellung entschieden.

Tharaud: Ich habe zwar für mich alle Stücke Couperins gespielt, glaube aber, dass sich nur einige Stücke Couperins für das Klavier eignen – ganz anders als bei Bach, dessen Musik Sie ja sogar problemlos auf dem Akkordeon spielen können. Für meine Rameau-CD habe ich aus dem gleichen Grund die letzten beiden Suiten ausgewählt – sie sind vom Klang her schon nahe am Hammerflügel, während die früheren noch dem Cembalo verhaftet sind. Deshalb habe ich nach dem Erfolg meiner Rameau-CD auch keine zweite Folge aufgenommen. Mehr französischen Barock wird es von mir nicht geben.

RONDO: Ihre Repertoirevorlieben erinnern stark an die große französische Pianistin Marcelle Meyer, der Sie auch Ihre Aufnahme des Ravelklavierwerks gewidmet haben. Haben Meyers Aufnahmen Sie besonders geprägt?

Tharaud: Sicher, ich verehre auch Glenn Gould, Rudolf Serkin und Emil Gilels, und bei den Chopinwalzern ist Rachmaninow einfach unschlagbar. Aber die Platten von Marcelle Meyer waren für mich die wichtigste Entdeckung. Ich war damals 21 und hatte eine ziemlich schlechte Phase: Keinen richtigen Lehrer, keine Konzerte, keine Aufnahmen. Und da habe ich begonnen, alte Platten zu hören – und habe Marcelle Meyer entdeckt. Ihre Aufnahmen atmen eine fantastische Frische und Natürlichkeit – als ob sie selbst gerade die Musik entdecken würde, die sie spielt, und gleichzeitig ist da auch eine enorme Energie, ein kraftvoller, männlicher Klang und eine ungeheure Lust auf die Stücke. Tatsächlich spiele ich im Wesentlichen die gleiche Musik wie sie, und vor ein paar Monaten habe ich in Rom sogar noch ihre Tochter getroffen.

RONDO: Zwischen den Aufnahmen Meyers und Ihren liegen 50 Jahre – und der Siegeszug der historischen Aufführungspraxis. Hört man auch etwas davon, wenn Sie Barockmusik spielen?

Tharaud: Sicher spiele ich privat auch hin und wieder auf einem Cembalo, aber ich liebe nun mal mein Klavier. Außerdem bedeutet Rameau für mich etwas viel Grundsätzlicheres: Für mich hat er meine Sicht auf die Musik überhaupt verändert. Bevor ich Rameau für mich entdeckt hatte, fühlte ich mich unglücklich und unfrei, das konventionelle Repertoire war wie ein Gefängnis für mich. Aber mit dieser Musik habe ich eine neue Freiheit für mich gefunden: Auf ein Mal machte es mir Spaß, Klavier zu spielen! Und das ist zum Glück bis heute so geblieben.

Neu erschienen:

François Couperin

tic toc choc

Alexandre Tharaud

harmonia mundi

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Jörg Königsdorf, 09.08.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2007



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