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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Hitler und Bayreuth

Hitler Was Here

Bayreuth 2007 – Katharina Wagner lässt in ihrer umstrittenen „Meistersinger“- Produktion um die Wette singen. Ob deutsch und echt – wer weiß? Das erste Mal hat Wagners Urenkelin und Tempelnovizin an „heiliger Stelle“ die Nazivergangenheit – wie auch immer – ins Bild gesetzt. Gut 70 Jahre früher war Adolf Hitler hier, im hellen Trenchcoat, im schwarzen Frack, festspielbereit, wie jüngst aufgetauchte Fototrouvaillen aus brauner Vorzeit wieder einmal ins Gedächtnis rufen. Und in einer russischen Datscha fanden sich jüngst Teile von Hitlers Plattensammlung aus der Reichskanzlei. Sturm im Wasserglas? Fragen an Brigitte Hamann, Wiener Historikerin, die mit minuziös materialreichen Erkundungen zu „Hitlers Wien“ und „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“ eine lesebegierige Welt gehörig aufgemischt hat. Und Fragen an Dieter David Scholz, der mit akribischen Untersuchungen zu „Wagners Antisemitismus“ den Dunstkreis der Wagnereiferer pro/contra kaltblütig durchstoßen hat. Neugieriger Fragensteller und Zuhörer: Karl Dietrich Gräwe.

RONDO: Fördern die bisher unveröffentlichten Fotos aus englischer Quelle neue Erkenntnisse zu Tage?

Brigitte Hamann: Nein. Diese Fotos von 1939 zeigen Hitler bei seinem letzten Besuch in Bayreuth. Das mag einen gewissen chronistischen Wert haben. Hitler gibt sich da etwas privater als auf offiziellen Festspielfotos. Mehr nicht. Die Veröffentlichung dieser Fotos war etwas für die öffentliche Einstimmung auf die diesjährige Festspielzeit. Es genügt ja schon ein Stichwort aus dem Umfeld Wagner/Bayreuth, und schon ist überall ein komplexes Gefühlspotential getroffen.

RONDO: Man muss nur irgendwas ansprechen, das mit Wagner zu tun hat, schon entladen sich ganze Gefühlskatarakte. Ist das nicht gefährlich?

Dieter David Scholz: Eine hypothetische Schubkraft, nützlich für Politiker, verhängnisvoll, wenn sie von Demagogen missbraucht wird. Wagner war ein Genie und nahm das Recht in Anspruch, mal dieses, mal jenes zu sagen, je nach Stimmung. Er ist und er äußert sich widersprüchlich. Ohne es zu wollen, ist er für alle Konzepte offen – und zu missbrauchen. Vergessen wir nicht, was Cosima aus Wagners Aussagen und Schriften alles selektiert und ihrem rigorosen Rassismus und Antisemitismus angepasst hat. Sie hat sich ihren Wagner zusammengefälscht und, als der echte erst einmal tot war, über ihren Bayreuther Kreis populär gemacht – als Orakel nach eigenem Gusto.

Hamann: Wagner stirbt 1883, Cosima übernimmt das Kommando, in allen Belangen der Wagnerideologie und des Festspielbetriebes. Problematisch dazu: 1900 heiratet der Kultur- und Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain in die Wagnersippe. Er macht sich nützlich als Multiplikator des Cosima- Rigorismus. Er stilisiert sich hoch zur Symbolfigur des „Bayreuthianers“ schlecht hin.

Scholz: Seit 1878 und dann 60 Jahre lang hat Hans Paul von Wolzogen die „Bayreuther Blätter“ herausgegeben, ein Publikationsorgan, das sich zunächst für die Durchsetzung von Wagners künstlerischen Zielen stark machte. Nach Wagners Tod bot Wolzogen den deutschnationalen und antisemitischen Autoren ein Forum – Wasser auf Cosimas Mühlen. Er hat die antisemitischen Skribenten in Bayreuth hoffähig gemacht.

Hamann: Aber dazu war er doch viel zu dümmlich. Nein, der eigentliche böse Geist war Cosima. Ihr einziges Interesse war, in Wagner den antisemitisch-bürgerlichen Deutschnationalen zu beglaubigen.

RONDO: Führt ein Weg von Wagner zu Hitler? Wagner hat 1851 diese unsäglich infame Schmähschrift über „Das Judentum in der Musik“ verbrochen. Da steht ein für alle Mal geschrieben, worauf sich künftig die Heerscharen von Judenfressern berufen können.

Hamann: Die entscheidenden Anregungen für Hitlers Antisemitismus kamen aus ganz anderen Quellen und Strömungen. Dagegen ist Wagners Judenaufsatz beinahe harmlos. Er wurde zunächst ja auch kaum gelesen.

Scholz: Wagner hatte zuerst mit dem Pseudonym „R. Freigedank“ unterschrieben. Fast 20 Jahre danach wollte Cosima das Feuer noch einmal schüren, sie drängte Richard zu einer zweiten Version den „Judentums“. Sie hat weder die intellektuelle Weite Wagners begriffen noch die Widersprüchlichkeit seiner oft von spontanen Eingebungen diktierten Äußerungen. Die zweite Version wurde geradezu eine Revision der ersten: Die „Erlösung“ der Juden sei nicht möglich ohne unser aller Erlösung.

RONDO: Was soll das heißen?

Scholz: Über das gesamtgesellschaftliche Konzept einer Befreiung vom Kapitalismus. Wagners sozialistische Utopie: Jüdische und christliche Bürger heben alles Unterscheidbare und Trennende auf und verbinden sich in konsequenter Assimilation.

Hamann: 1867 wurde in Österreich, 1871 in Deutschland den Juden die volle Gleichberechtigung gesetzlich zuerkannt. Die „anderen“ erhoben einen Aufschrei der Empörung, hüben wie drüben, und riefen zur Gegenwehr. Judenfeindlichkeit hatte plötzlich Hochkonjunktur. Jetzt erst wurde Wagner richtig berühmt, zumal bei denen, die sich für Musik überhaupt nicht interessierten, aus dem Steinbruch der Wagner’schen Widersprüche aber das herausschlugen, was ihnen als Munition brauchbar erschien.

RONDO: Und Cosima, künftige Witwe und „hohe Frau“ von Bayreuth, war sozusagen der „authentische“ Energiespender der Bewegung?

Scholz: Sie war das Opfer einer Art von „Elternlosigkeit“, hat Elternbindung nie kennen gelernt, wurde dafür das pädagogische Produkt ihrer Gouvernante, Madame Patersi de Fossombrone, einer antisemitischen Rassistin katholischer Prägung.

Hamann: Als Frau, musste sie glauben, sei sie keine Persönlichkeit. An der Seite ihrer deutschen Ehemänner war sie keine Deutsche. Ihre Minderwertigkeitsgefühle kompensierte sie mit Überanpassungszwang. Sie brauchte Unterwerfungsidole. Aber auch Feindbilder. Und Antisemitismus war gerade modern.

RONDO: Die Judenfeindlichkeit von Brahms. Oder von Max Bruch. Ist Judenfeindlichkeit, die sich auf Wagner beruft, ein Missverständnis?

Scholz: Nicht in jedem Fall. Lange bevor er seinen Judenaufsatz schrieb, hat er Halévys Oper „Die Jüdin“ als Musterbeispiel ihrer Gattung für alle Zeiten gepriesen und an diesem Urteil zeitlebens festgehalten. Aber ein großer Teil dessen, was sich als „Wagnerrezeption“ versteht, bewegt sich in Wirklichkeit von Wagner weg und unterstützt ganz andere Ideologien. Das gilt auch nach 1945. Wagnerinterpretation bleibt – manchmal bewusst, öfter wohl ungewollt – Interpretation aus Hitlerperspektive. Damit tut man nachträglich Hitler einen Gefallen, nicht Richard Wagner.

Hamann: Der Stempel „Antisemit“ bleibt, egal ob man damit paktieren oder ins Gericht gehen will. Geringfügige Anlässe, hier ein Ärger Wagners über Mendelssohn, dort eine Bosheit gegen Meyerbeer, werden willkürlich ausgewählt und zu folgenreichen Indizien aufgebaut.

Scholz: Aber so wenig wie Wagners unsägliche Entgleisungen für ungesagt erklärt werden können, so zuverlässig bleibt dann doch sein Ausspruch bestehen, der „Rassenquatsch von Gobineau“ sei barer „Unsinn“.

RONDO: Winifred Wagner, Ehefrau des Wagnersohnes Siegfried, wurde Nachfolgerin Cosimas in der Herrschaft über den Grünen Hügel bis 1945. Je älter sie wurde, desto verklärter hat sie sich zu Hitler bekannt. War sie, wenn auch groteskerweise, so doch, unter den gegebenen Umständen im „Dritten Reich“, die richtige Festspielchefin im richtigen Augenblick?

Hamann: Sie hatte schon vorher unermüdlich für Cosima und Siegfried gearbeitet, war ständig mit dem Auto unterwegs gewesen, hatte für die Festspiele geworben, Dirigenten, Musiker, Sänger besucht, Toscanini – den Italiener! den erklärten Antifaschisten! – ins deutsche Heiligtum geholt. Ihr großes Problem: Sie hatte nie Geld.

RONDO: Und um daran zu kommen, bot sie dem „Führer“ ein Propagandaforum, das Hitler und seine Gesellen für ihre Massen- und Mediendemagogie nutzen konnten?

Hamann: Nicht ganz. Das Geld floss erst ab 1940. Da war Hitler der Interventionen Winifreds längst überdrüssig. Er empfing sie nicht mehr und kam auch nicht mehr nach Bayreuth. Sie hatte sich bei ihm zu oft für Naziverfolgte, auch für Juden eingesetzt. Aber ab 1940 wurden die Aufführungen zu „Kriegsfestspielen“ erklärt. Seit 1933 waren die Juden unter den Festspielbesuchern ausgeblieben. Ein furchtbarer Aderlass, den Hitler nicht verkennen konnte. In „Mein Kampf“ hat er sich seiner Wiener Staatsopernbesuche erinnert. „Das Stehparterre war immer voller Juden. Die verstehen was von Wagner. Die blöden Wiener sitzen immer nur beim Heurigen und interessieren sich nicht für Musik.“ Goebbels musste wohl oder übel die leeren Plätze stopfen, haufenweise: mit Offizieren, mit Soldaten, mit Kriegsverwundeten. Und mit einem Mal hatte Winifred Geld wie Heu. Sie nutzte ihre Chance und ließ Sänger, Orchestermusiker, technisches Personal, Handwerker vom Kriegsdienst freistellen. Sie haben bei ihr förmlich Schlange gestanden. So absurd es klingt: das war ihre „beste“ Zeit.

Scholz: Hitler hat sich nicht wirklich für Wagner interessiert. Er hat Winifred nur als Steigbügelhalterin für seine gesellschaftliche Reputation benutzt. Er hat sich an den Oberflächenreizen der Musik berauscht und das, was er zu verstehen glaubte, für die Ästhetik seiner faschistischen Repräsentationsbedürfnisse adaptiert.

Hamann: Musik als Emotionsdroge, passend zur Bombastik der Parteitage und jenseits der intellektuellen Kontrolle. SCHOLZ: Was hat Hitler denn privat gehört? Die „Lustige Witwe“ hat er gehört!

Hamann: Bis zu allerletzt, und das war schließlich eine furchtbare Zeit, als er ganz allein in Ostpreußen saß und der Krieg quasi schon verloren war. Immer nur die „Lustige Witwe“!

RONDO: Und wie wir jetzt – nach dem Auffinden von Teilen der Hitler’schen Plattensammlung aus der Reichskanzlei – wissen, hörte er auch Aufnahmen mit dem Geiger Bronislaw Hubermann, einem polnischen Juden, und Klaviereinspielungen des österreichischen Juden Artur Schnabel, dessen Mutter in Theresienstadt ermordet wurde.

Hamann: Ich arbeite gerade an einem Buch über einen jüdischen Linzer Arzt, Dr. Eduard Bloch. Der betreute ab 1907, nach dem Tode von Hitlers Vater, die Mutter und fand Gefallen an dem 18-jährigen jungen Adolf, der so lieb und so sauber war, auf dem Kopf einen Lodenhut mit Federn dran. Vor lauter Sympathie für den Sohn hat Dr. Bloch die Mutter als Privatpatientin behandelt. Und Hitler hat später immer wieder behauptet: „Wenn alle Juden wären wie Dr. Bloch, gäbe es keinen Antisemitismus.“ Der Gestapo gab er Anweisung, den Arzt und seine Familie unbehelligt zu lassen – was auch geschah.

RONDO: Das hat Lehár für Victor Leon, den jüdischen Co-Librettisten seiner „Lustigen Witwe“, bei den Nazis auch durchgesetzt …

Karl Dietrich Gräwe, 19.07.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2007



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