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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Ja, die Schweiz. Wird von den Meisten geschätzt als Ort einer Naturverbundenheit, wie sie uns ausgekochten Urbanern zusehends entrinnt. Als Stätte der Kultur wird die Schweiz hingegen immer gerne unterschätzt, trotz der Oper Zürich, trotz des Lucerne Festivals, welches schon zu Karajans Zeiten (Gott hab ihn selig, bald würde er 100) von einiger Bedeutung war. Auch in diesem Jahr war es das wieder. Herrliche Konzerte, unvergessliche Abende und allen voran wieder der Maestro assoluto: Claudio Abbado. Seit jenen, fast schon aus der Erinnerung getilgten Tagen, als er dem Tod entwischte (eine hauchdünne Entscheidung war’s), ist er nur noch auf Höhenflügen durch die Welt der klassischen Musik unterwegs. Diesmal, in Luzern, mit einer Interpretation der Dritten von Mahler, der Natursinfonie schlechthin, die göttlich zu nennen sich verbietet, weil wir ja auf der Erde sind, aber ebenso war es halt doch: göttlich. Aber worüber wir eigentlich angefangen hatten, das war die Schweiz im Allgemeinen und Luzern im Besonderen. Und da trifft uns diese Meldung wie ein schöner Schlag: Nur wenige Jahre, nachdem Jean Nouvel diesen Zauberkasten ans Ufer gestellt hat, bauen sie schon wieder. Eine neue Oper soll es sein, so etwa 100 Millionen Schweizer Fränkli soll sie kosten (das Geld haben sie natürlich längst gesammelt), und zeitgenössische Bühnenwerke sollen darin aufgeführt werden. Wenn alles gut geht, ist es im Sommer 2010 so weit. Und wir wissen ja: Schweizer Uhren gehen pünktlich. Und haben, fast hätten wir es vergessen, selbstredend auch dafür gesorgt, dass daselbst, also in Luzern, das Musiktheater »A Clear View of Heaven« über die Bühne ging als auch wenig später in Lausanne die Uraufführung von Heiner Goebbels’ musiktheatralischer Installation »Stifters Dinge«. Über beides ließe sich trefflich streiten.
Im anderen Karton, der Deutschen Oper Berlin, herrscht die Ruhe, sie ist bekanntlich eine vor dem Sturm. Man wird sehen. Aber es gibt ja gottlob noch die andere Deutsche Oper, und die steht bekanntlich in Düsseldorf am Rhein. Dort nun wiederum hat Christof Nel eine herzallerliebste Inszenierung vollbracht. Seine Deutung des zauberhaften, symbolismusträchtigen Stücks »Pelléas et Mélisande« von Herrn Claude Debussy offenbarte die wahre Tragik eines Familiendramas, aber gekonnt. Gleiches durfte man im benachbarten Duisburg bewundern, wo Willy Decker bei der diesjährigen Ruhrtriennale das leider selten aufgeführte Bühnenwerk »Le vin herbé« des leider selten aufgeführten Komponisten Frank Martin in poetische Bilder setzte und das in einer ehemaligen Gebläsehalle.
Mit Jammer weiß man all dies zu berichten, wenn man daraufhin gen Berlin schaut. Berlin ist ja, neben Paris und London, nach wie vor die spannendste Stadt Europas, aber mit den Opern dort ist das so eine Sache. Henzes vermutlich letztes Werk für diese Kunstgattung gab es an der Staatsoper Unter den Linden, die »Phaedra«, Intendant Mussbach musste sie unbedingt inszenieren, und es war mal wieder einer dieser Abende, an denen man dasitzt und eigentlich gar nicht weiß, wie man das finden soll. Es ist nicht gut, es ist nicht schlecht, es ist irgendetwas dazwischen. Aber es passt ja zur Situation des Hauses, dieses Dazwischen. Wie lange streiten die Damen und Herren eigentlich inzwischen? Sieben Jahre? Neun? Elf? Siebzehn gar? Man weiß es nicht mehr und will es auch nicht mehr wissen. Denn so langsam, aber sicher wird die Angelegenheit satirisch. Mal will der Bund die Lindenoper übernehmen, mal nur einen Teil, mal will er nur die Immobilie, mal selbst die nicht. Vielleicht sollten die Schweizer die Oper kassieren, dann wüsste man immerhin, woran man ist. Auch die 230 Millionen Euro, die nach neuesten Schätzungen eine Sanierung kosten soll, würden sie mit links berappen. Und Ruhe wäre in Knobelsdorffs Karton.
Man staunt. Und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr hinaus, wenn man dann in der Geburtsstadt Goethes weilt, in Frankfurt am Main. Dortselbst, in der Alten Oper, die ja keine Oper ist, sondern ein akustisch zweifelhafter Konzertsaal, spielte nämlich nicht nur die wunderbare Geigerin Carolin Widmann einen ganzen Abend lang Musik unserer Zeit und dies wirklich atemberaubend, und dort trat nicht nur das San Francisco Symphony Orchestra unter seinem Chef Michael Tilson Thomas mit Mahlers heikler Siebenter in Berührung, nein, es spielte an diesem Ort auch das Simón Bolívar Youth Orchestra im Rahmen seiner Europatournee. Mit seinem Chef, dem smarten Gustavo: Gustavo Dudamel, Traum einer jeden Schwiegermama. Schön haben sie gespielt, nicht immer sinnvoll, aber schön. Und zur Zugabe sind die Musiker in Jacken auf die Bühne gekommen, die zwar wiederum nicht schön, aber schön bunt waren. Rot, blau, gelb, das sind die Farben jenes Landes, das mit seiner Nachwuchsarbeit weltweit federführend ist: die Farben Venezuelas. Sollte man jetzt sagen: Ach, Caracas? Ja, warum denn eigentlich nicht. Bis zum nächsten Mal.
Ihr Tom Persich

Tom Persich, 12.07.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2007



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