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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Christa Ludwig

»Ich mag keine Opern«

Im März feiert die Mezzosopranistin Christa Ludwig ihren 80. Geburtstag. Im Gespräch mit Robert Fraunholzer nimmt sie kein Blatt vor den Mund: Christa Ludwig über geldgierige Sänger, exaltierte Dirigenten, Karajans Frauen und die Pausbacken von Fischer-Dieskau.

RONDO: Frau Ludwig, können Sie überhaupt noch Lob vertragen?

Christa Ludwig: Ach doch, ich betrachte es als Entschädigung. So lange ich gesungen habe, bekam ich ständig Angst, ob alles gut geht. Wenn ich heute Schallplatten von mir höre, muss ich zugeben: Ich gefalle mir.

RONDO: Anders als Ihre Kollegen Dietrich Fischer-Dieskau oder Elisabeth Schwarzkopf sind Sie nie grundsätzlich kritisiert worden. Was war Ihr Geheimnis?

Ludwig: Ich war weniger manieriert. Meine Generalproben habe ich immer vor meiner Mutter und meinem Mann absolviert. Wenn da Künstlichkeit aufgekommen wäre, hätten die sofort aufgeschrieen. Die 50er Jahre, in denen wir groß wurden, waren eigentlich eine schreckliche, unnatürliche Zeit. Das hört man den Gesangsaufnahmen an. Bei Fischer-Dieskau fand ich ein einziges Lied von Hugo Wolf immer zum Weinen schön: »Der Mond hat eine schwere Klag’ erhoben«. Wenn er Mahler sang, hätte ich ihm am liebsten hinten rein getreten.

RONDO: Wo finden Sie sich selbst richtig gut?

Ludwig: In meiner ersten Aufnahme von »Hänsel und Gretel« (unter Kurt Eichhorn), in der ich die Hexe war. Mein Mann sagte: »Mach einfach ’ne sexy Hexe daraus«. Das habe ich versucht. Die zweite Aufnahme unter Colin Davis wollte ich nicht mehr machen. Das letzte »Hi hi hi hi hi hi!« muss auf dem hohen H gesungen werden. Das hatte ich damals nicht mehr. Dann habe ich mich überreden lassen. Es war ein Fehler.

RONDO: Warum lassen sich junge Sänger heute so schnell verheizen?

Ludwig: Weil sie zu schnell viel Geld verdienen wollen. Als dem Wotan in der »Walküre« in Wien kürzlich die Stimme wegblieb, musste er dafür schon früher Anzeichen bemerkt haben. Warum ist er trotzdem aufgetreten? Wegen des Geldes. Die Sängerin Christel Goltz hat mir, als ich jung war, gesagt: »Einmal pro Woche, Christa, nicht öfter!« Selbst der damalige Direktor der Metropolitan Opera, Rudolf Bing, hielt sich daran. Plötzlich, schon während der 60er Jahre, hieß es: zwei Mal die Woche. Heute singen die Sänger drei Mal.

RONDO: Sind Sänger so geldgierig?

Ludwig: Nicht alle. Eine befreundete, junge Sängerin, die an der Semperoper in Dresden sogar große Rollen singt, kriegt im Monat 1.400 Euro brutto. Wie soll sie denn davon leben?!

RONDO: Wann sollte ein Sänger absagen?

Ludwig: Schauen Sie, wenn man – wie es auch mir passiert ist – eine Schwellung an den Stimmbändern bemerkt, dann kann ein Halsarzt dagegen noch mit Medikamenten vorgehen. Wenn die Schwellung aber härter wird, muss man sofort aufhören, sonst wird’s ein Knötchen. Darüber spricht kein Sänger, stattdessen sagt man: »Heute morgen hat es aber noch wunderbar funktioniert!« Das ist so Sängerlatein. Als ich einmal Karl Böhm beim Festival von Orange absagte, meinte meine Kollegin Hilde Güden zu mir: »Du kannst alles vorschützen, aber gib nie zu, dass du es auf den Stimmbändern hast. Sonst heißt es: Mit der ist es aus und vorbei.«

RONDO: Sie haben Ihre Autobiografie genannt: »Und ich wäre so gern Primadonna gewesen«. Haben Sie nicht bemerkt, dass Sie längst eine Primadonna waren?

Ludwig: Ich war immer eine Seconda Donna! Wissen Sie, woran ich es bemerkt habe: Die Primadonna hatte immer ein Sofa in der Garderobe. Ich nie. Als ich in London mit Elisabeth Schwarzkopf im »Rosenkavalier« sang, bekam sie beim Auftritt im dritten Akt immer ein Spotlight, einen eigenen Scheinwerfer. Der blieb bei ihr hängen, ich bekam nur manchmal so einen leichten Schimmer davon ab. Als ich sie später darauf ansprach, meinte sie: »Aber ich möchte das doch gar nicht!« Sie war eben auch nicht immer ganz ehrlich. (lacht)

RONDO: Was ist der Unterschied zwischen einer Mezzosopranistin und einem Sopran?

Ludwig: Soprane sind verrückter. Je höher, desto verrückter. Deswegen wollte ich ja auch immer höher hinaus, so mit großer Hutfeder. Grace Bumbry war eigentlich der erste Mezzosopran, der sich so einen glamourösen Status erworben hat. Sofort kaufte sie sich ein orangefarbenes Auto. Ich war dafür zu normal.

RONDO: Hätten Sie, wenn es Fischer-Dieskau nicht gegeben hätte, mehr Liedaufnahmen machen können?

Ludwig: Ich glaube nicht. Fischer-Dieskau war ein deutsches Produkt. Und er hatte tatsächlich eine Besonderheit: eine frühe stimmliche Reife. 1947 und 1948, als in Frankfurt alles in Trümmern lag, kam da plötzlich ein pausbäckiges Riesenbaby und sang Schubert – mit einer Schönheit, dass alle wie zum Beten hinpilgerten. Genau das, eine frühe Reife, hatte meine Stimme nicht. Franz Schubert war immer mein Sorgenkind.

»Wissen Sie, ich habe dünne Stimmbänder. So wie Wollfäden, nicht wie Stahlseile.«

RONDO: Warum haben Sie, trotz Ihrer eher episodischen Gastspiele in dramatischen Rollen, gerade mit Partien wie der »Färberin« oder im »Brünnhilden«-Schlussgesang, derart epochale Leistungen vollbracht?

Ludwig: Meine Mutter meinte immer, eine vollständige Sängerin sei man nur dann, wenn man in allen drei Sparten singen kann: Lied, Oratorium und Oper. Immer müsse man die Töne so schön präsentieren, als handele es sich um den Kopf des Jochanaan auf dem Silbertablett. Bei der Oper kann man das auch. Und bei der Oper kann man ja auch schwindeln. An lauten Stellen im »Rosenkavalier« nimmt man die Stimme halt etwas zurück. Im Liederabend, da geht das nicht. Die dramatischen Rollen waren die Hürden, die ich unbedingt überwinden wollte. Es gab Zeiten, in denen ich Cenerentola, Brangäne und Kundry direkt hintereinander gesungen habe.

RONDO: Waren Sie in Wirklichkeit ein Sopran, der nur deswegen Mezzosopran wurde, weil auch Ihre Mutter einer war?

Ludwig: Das könnte wohl sein. Meine Mutter Eugenie Besalla war eine Mezzosopranistin, die sich als Elektra, übrigens unter Karajan in Aachen, die Stimme verdorben hat. Ich habe meinen Tonumfang jedes Jahr um einen halben Ton nach oben erweitert. Ich finde es eigentlich traurig, dass manche Sänger sich so beschränken. Die Schwarzkopf hat nur eine winzige Auswahl von Rollen auf der Bühne beibehalten. Ist das nicht furchtbar langweilig?

RONDO: Haben Dirigenten früher mehr von Stimmen verstanden als heute?

Ludwig: Nein, schon zu meiner Zeit gab es nur zwei Dirigenten, die etwas von Stimmen wussten: Karl Böhm und James Levine. Karajan hat sich bei Stimmen nicht ausgekannt. Er hat sie nur geliebt. Karajan wollte mich als Isolde und als Brünnhilde besetzen. Als ich Karl Böhm davon erzählte, sagte er: »So ein Verbrecher!« Um dann hinzuzufügen: »Mit mir könntest du es!«

RONDO: Sie sind seinem Angebot nicht gefolgt?

Ludwig: Nur insoweit, als ich Isolde immerhin gelernt habe. Der Sopranistin Zinka Milanov, die ich sehr verehre, habe ich dann vorgesungen. Sie sagte: »Was soll das?! Wenn die Menopause kommt, ist’s sowieso aus mit dir!« Da habe ich abgesagt. Wissen Sie, ich habe dünne Stimmbänder. So wie Wollfäden, nicht wie Stahlseile. Auch Leonard Bernstein wollte Isolde mit mir aufnehmen. Auf dem Hinweg habe ich angerufen und wieder abgesagt. Das Risiko war mir einfach zu hoch.

RONDO: Sie hatten also alles umsonst gelernt.

Ludwig: Nicht umsonst, denn es war teuer gewesen. Aber vergeblich. Danach wollte ich eigentlich gar nicht mehr singen. Ich hatte dann meine große Krise. Ich war frisch geschieden. Ich musste unentwegt singen. Es war fürchterlich.

RONDO: Durch Ihre Eltern kannten Sie Karajan, seit Sie sechs Jahre alt waren. Haben Sie jemals Privates über Karajan herausgekriegt?

Ludwig: Als Kind in Aachen musste ich einen Knicks machen, wenn Karajan kam. Das habe ich meinen Eltern nie ganz verziehen. Karajan ging früh heim. Denn er musste immer noch lernen. Karajan war eigentlich eine treue Seele. Nur mit Frauen hat er, glaube ich, immer Pech gehabt. Ich habe sie alle gekannt. Elmy Holgerloef, eine Operettensängerin, war mir die liebste. Anita Gütermann, seine zweite Ehefrau, war die beste für ihn.

RONDO: Und Eliette von Karajan?

Ludwig: Na ja. Sie war eher so die Rose im Knopfloch. Karajan war von Natur aus ziemlich scheu. Ich erinnere mich an eine Aufnahme der Missa Solemnis von Beethoven. In einer Pause kam Gundula Janowitz zu mir und sagte: »Das Benedictus dirigiert er mir viel zu langsam. Geh hin und sage es ihm!« Also ging ich, aber Karajan meinte: »Wenn Sie es nicht singen können, muss ich mir eben bessere Sänger holen.« Da habe ich zu ihm gesagt: »Herr von Karajan, bessere als uns finden Sie nicht.« Da hat er es eben schneller dirigiert.

RONDO: Man bewundert an Karajan das Handwerk. Zu Recht?

Ludwig: Handwerklich war Karajan, glaube ich, der Beste von allen. Mirella Freni hat sehr richtig gesagt: »Mit Karajan würde ich auch Sarastro singen!« Ich gestehe, dass ich seinen Beethoven nicht besonders mochte. Auch Mahler konnte er nicht dirigieren. Als wir »Falstaff« aufnahmen, lief im Auto immer die Toscanini-Aufnahme. Aber als wir nach der Aufführung zu Elisabeth Schwarzkopf zum Essen kamen, sagte sie nicht eine einzige Silbe über die Aufführung. Na ja, sie fand alles immer schlecht. Ich nicht.

RONDO: Sie haben auch mit Maria Callas zusammen gesungen. Eine gute Erfahrung?

Ludwig: Sehr angenehm. Es war nur ein einziges Mal – bei »Norma«. Die Primadonna der Aufführung war nicht die Callas, sondern Franco Corelli. Der rief um halb zwölf an und ließ ausrichten: »Der Franco kann heut nicht.« Nein, Maria Callas war eine überaus nette, ganz entzückende und fleißige Kollegin.

RONDO: Sie sind heute noch oft im Parkett anzutreffen. Wie beurteilen Sie die Oper heute?

Ludwig: Ich mag eigentlich keine Opern. (lacht) Aber ich gehe gerne unter Leute. Mein Mann und ich haben 16 Jahre lang an der Côte d’Azur gelebt. Es war furchtbar langweilig. Man muss doch etwas erleben! Jetzt sind wir zurück nach Wien gegangen und leben in Klosterneuburg. Warum soll ich mich denn verstecken?

RONDO: Im März werden Sie 80 Jahre alt. Was wünschen Sie sich?

Ludwig: Dass man – so wie bei Georges Prêtre auch – nicht sagt, ich werde 80 Jahre alt, sondern: zehn mal acht Jahre alt. Oder: acht mal zehn. Das klingt doch viel hübscher, finden Sie nicht?

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Robert Fraunholzer, 21.06.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2008



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