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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Musik der Welt

Himmlische Harfe

+ Der Kora-Virtuose Toumani Diabaté aus Mali spielt das Blaue vom Himmel + Die birmanesische Harfe Saùng-gauk + Neues vom palästinensischen Oud-Trio Joubran +

Als Musikjournalist hat man die Freude, jeden Tag mitunter sehr gute Musik zu hören, die man auch mit einigen netten Worten empfehlen will. Doch auch da ist es ein großes Geschenk, wenn man mit einem Album beglückt wird, das einen in Momenten, die man fast »heilig« nennen möchte, schlicht sprachlos lässt. Ein solches ist »The Mandé Variations« (World Circuit/Indigo 800792), das nach 20 Jahren zweite Soloalbum von Toumani Diabaté, des begnadeten Koraspielers aus Mali, der uns in etwa den Eindruck vermittelt, wie es wohl klingt, wenn Engel Harfe spielen. Auch wer wie ich gerne sachlich bleibt, gerät leicht in Versuchung, die Tiefe und Unerschöpflichkeit eines Sees oder die Unendlichkeit eines blauen Himmels zu bemühen. Doch wem ist damit gedient? Um mit dem Offensichtlichsten anzufangen: Dem Virtuosen steht eine Fingerfertigkeit zu Gebote, die es ihm erlaubt, auf der Kora, der traditionellen westafrikanischen Stegharfe, gleichzeitig Basslinien, Melodien und Gegenstimmen zu spielen. Ohne dass seine Musik je überladen klingt, ersetzt er mühelos ein ganzes Ensemble. Wüsste man nicht, dass da nur ein Musiker am Werk ist, ginge es uns wie den ersten Bewunderern Art Tatums, von denen viele überzeugt waren, es seien in Wirklichkeit zwei Musiker am Werk. Auf der Suche nach einer Analogie aus dem Jazzbereich bietet sich Keith Jarrett an. Wie dieser in den 70er Jahren in Konzerten die herkömmlichen Vorstellungen vom Soloklavier im Jazz erweiterte, so tut das Diabaté mit der Rolle der Kora in der westafrikanischen Musik, in der sein Instrument bei den Griots eine uralte Tradition hat. Diabaté hat mit Musikern des Blues, Jazz und aller erdenklicher anderer Stilrichtungen zusammengearbeitet, und die dadurch gewonnene Freiheit fließt in sein Spiel ein, das einerseits tief verwurzelt in der Musik seiner Heimat ist, andererseits immer wieder Neuland betritt. So fühlt man sich etwa unwillkürlich an Flamenco erinnert und staunt über die ausgedehnten Improvisationen, die in dieser Form untypisch für westafrikanische Musik sind.
Ein Blick voraus und einer zurück. Seiner Janusköpfigkeit ist sich Diabaté wohl bewusst. So spielt er seine Stücke, darunter Widmungsstücke für nahestehende Verstorbene auf verschiedenen Koras, einer traditionell mit Saitenbefestigungsringen ausgestatteten und einer mit modernen Wirbeln. Auch verwendet er neben traditionellen Stimmungen eine eigene, die er »ägyptische Stimmung« nennt sowie Harfensaiten. Was dem Musiker von schier unerschöpflichem Einfallsreichtum glückt, ist Musik von der Reinheit frisch sprudelnden Quellwassers. Man möchte darin baden! Man tut auch einer ohnehin superlativen Ausnahmeerscheinung wie dem Neuerer Toumani Diabaté keinen Gefallen, wenn überall – in der Werbung zu dieser CD oder im Internet – zu lesen ist, sein vorheriges, traditionelleres Soloalbum »Kaira« aus dem Jahr 1988 sei das erste Soloalbum eines Koraspielers gewesen. Beispielsweise haben herausragende Musiker aus Gambia wie Alhaji Bai Konte oder der sogar mit Diabaté verwandte Amadu Bansang Jobarteh schon in den 70er Jahren auf Soloplatten dokumentierte Pionierarbeit geleistet. Man muss nichts von afrikanischer Musik verstehen, um in den Bann von Diabatés Spiel zu geraten. Jeder, der Harfenmusik schätzt, klassische, irische oder burmesische, wird es lieben.
Die traditionelle, in etwa wie ein Boot aussehende Harfe Saùng-gauk, ist im Ensemble von Aung Win zu hören, das in »Birmanie. Musique traditionelles « (Air Mail/SunnyMoon SA141156) einen kleinen Eindruck von der bei uns kaum bekannten Musik Burmas vermittelt. Der Klang ihrer Harfen und Xylofone mag sogar westafrikanische Assoziationen wachrufen, doch sie lässt sich kaum mit der Musik eines anderen Landes vergleichen, ist erstaunlich unabhängig von der ihrer südostasiatischen Nachbarn oder gar der Großkulturen Indien und China.
Die drei Oud spielenden Brüder Samir, Wissam und Adnan, bekannt als Le Trio Joubran, hatten bereits vor drei Jahren mit ihrem Erstling »Randana« als eine Art orientalisches Gegenstück zum Gitarrentrio De Lucia – McLaughlin – Di Meola begeistern können. Mit »Majâz« (Sony BMG 79488 18628-2) haben sich die drei Exilmusiker aus Ramallah selbst übertroffen. Sie sind als Gruppe noch mehr zusammengewachsen, faszinieren mit noch eindringlicherem Spiel und noch differenzierterer Klangkultur. Drei Solostücke geben diesmal auch jedem einzelnen die Möglichkeit zu Soloimprovisationen. Vor allem fasziniert bei ihrem zweiten Streich ihre Fähigkeit, lange Spannungsbögen mit geradezu unheimlichen Steigerungswirkungen zu gestalten. Vergessen Sie bei diesem Album nicht, den gebannt angehaltenen Atem bisweilen wieder fließen zu lassen.

Marcus A. Woelfle, 14.06.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2008



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