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Er habe als Genie begonnen und sei als Talent geendet – vom akuten Geisteszerfall in den letzten Jahren ganz zu schweigen. Die Meinungen über das Spätwerk Robert Schumanns gingen schon zu dessen Lebzeiten weit auseinander. Die dritte Violinsonate etwa, entstanden im Herbst 1853, wenige Monate vor der Einweisung in die Nervenheilanstalt, haben seine Frau Clara und sein Freund Brahms als Nachlassverwalter der Öffentlichkeit vorenthalten wollen: Zu gering schätzten sie offenbar deren Wert, zu sehr fürchteten sie jedenfalls, Schumanns Ruf könnte Schaden leiden.
Was für ein Fehler, meint Carolin Widmann, die wie selbstverständlich mit den ersten beiden auch die dritte eingespielt hat. »Die Sonate ist unglaublich stark. Alle Argumente dagegen lass ich nicht gelten!«, ruft sie lachend von ihrem Wohnsitz in London aus ihrem Gesprächspartner ins Telefon. Dass die mentale Instabilität Schumanns in dieser wie auch schon in den 1851 komponierten Vorgängern ihre Spuren hinterlassen hat, bestreitet sie dabei gar nicht einmal – bloß sieht sie in der vermeintlichen Schwäche eine einzigartige Stärke. Und die stellt sie ganz bewusst heraus. Wer noch immer meint, dem guten Schumann sei am Ende die Romantik abhandengekommen, höre nur einmal in ihrer jüngsten Aufnahme, welch tiefe Abgründe sich hinter dem Notentext auftun können – wenn man bloß mutig genug ist, den Blick (respektive das Ohr) nicht abzuwenden. Als Expertin auch für zeitgenössische Musik ist Widmann ohnehin bestens gerüstet für Wanderungen an die Grenzen des schönen Scheins. So führt sie nun Schumanns Sonaten nicht nur weit hinab bis ins fast tonlose, kaum vernehmbare Pianissimo (um dann umso emphatischer zum Gipfel emporzuschießen), sie lässt überhaupt die melodischen Kurven so fiebrig verlaufen, dass man am Ende beinahe froh ist, wenn sie und ihr Klavierpartner Dénes Várjon wieder einen Satz mehr heil nach Hause gebracht haben.
»An diese Stücke kann man nicht mit Samthandschuhen herangehen«, sagt sie – und macht aus Schumann einen Psychokrimi. »Wenn Schumann in der zweiten Sonate mitten im 19. Jahrhundert plötzlich sul ponticello schreibt oder ans Ende der Einleitung plötzlich einen Dominantseptnonakkord setzt – über solche Aufschreie, über solch extreme Gefühle kann man nicht einfach hinwegspielen. Nichts ist hier bloße Normalität.« Wohlig und warm klingt er in der Tat nicht, oder doch nur ganz selten, dieser späte Schumann. Man ist mit Carolin Widmann regelrecht bestürzt, wie wenig Musik der Komponist zuweilen in den Lauf der Zeit gestellt hat: »Einige Stellen sind so intim, so nackt und einsam, dass die Instrumente wie zwei Skelette nebeneinanderstehen.« Eine Interpretation aus dem Notentext selbst Schritt für Schritt herauszulesen und Details sorgfältig auf ihren Sinn und ihre Funktion hin abzuklopfen, auch dabei kann die mittlerweile 32-jährige Geigerin auf ihre Erfahrungen mit zeitgenössischer Musik zurückgreifen: »Was ich vor allem von Uraufführungen gelernt habe, ist, nur mit einem Blatt Papier und den Noten darauf klarzukommen. Da geht es um die Fragen ’Was bedeutet es wohl? Für diesen Komponisten? In dieser Phase der Musikgeschichte? Was sind die Voraussetzungen dafür gewesen, dass es so da steht?’ statt um Fragen wie ’Wie bin ich das gewohnt? Wie spielen die anderen das?’ Diese offene Haltung nehme ich mit auch in die Auseinandersetzung mit Werken früherer Epochen.«
»In Erwartung der Ankunft des verehrten und geliebten Freundes Joseph Joachim« – so, vermerkt das Manuskript, schuf Robert Schumann 1853 mit zwei jungen Kollegen ein in der Musikgeschichte seltenes Gemeinschaftswerk. Nur zwei Sätze der so genannten »F.A.E.-Sonate « schrieb er selbst, die anderen überließ er seinem Schüler Albert Dietrich und Johannes Brahms. Hinter dem thematischen Material der Tonbuchstaben F, A und E verbirgt sich das Lebensmotto des damals noch unverheirateten Geigers Joachim: »Frei, aber einsam«. Später ersetzte Schumann die beiden Fremdbeiträge durch zwei eigene Sätze, so entstand die dritte Violinsonate. Von Brahms und Clara Schumann nicht in die erste Schumann-Gesamtausgabe aufgenommen, erschien das Stück erst 1956 – als Werk ohne Opuszahl Nummer 2.
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