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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Mirare/Vincent Garnier

Blind gehört

Boris Berezovsky: „Aber reden wir nicht darüber“

Der russische Pianist Boris Berezovsky sagte sofort und kurzfristig zu, sich während seines Konzertaufenthalts in Berlin (wo er mit dem DSO Prokofjew spielte) auf ein „Blind gehört“ einzulassen. Dass es nicht darum gehen sollte, nur das Werk und den Pianisten zu erkennen, fand er gut. Und doch beschränkte er sich dann genau darauf, Nachfragen wehrte er eher ab. Dabei wirkte er aber weder unfreundlich noch lustlos, manchen seiner knappen Sätze schickte er ein fröhliches Lachen hinterher: Mehr wollte er einfach nicht sagen – zumindest im Interview.

Peter Tschaikowski

Klavierkonzert Nr. 2

Boris Berezovsky, Sinfonia Varsovia, Alexander Vedernikov

Mirare/harmonia mundi

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Eine Live-Aufnahme offensichtlich. Aus den 60er Jahren oder so. Ein großer Virtuose, könnte Horowitz sein. Das gefällt mir nicht. Horowitz generell nicht. Aber reden wir nicht weiter darüber. Meine Lieblingsaufnahme dieses Konzerts ist die von Solomon aus den 20er Jahren, als ich die hörte, gefiel mir das Stück zum ersten Mal. Vorher mochte ich es nie. Solomon spielt es so leicht und schön wie Ballett-Musik. Horowitz spielt so viele falsche Töne. Das hat Glenn Gould schon gesagt: Warum spielt ein Pianist von solch einem Ruf so viele falsche Töne?

Peter Tschaikowski

Klavierkonzert Nr. 1

Vladimir Horowitz, NBC Symphony Orchestra, Arturo Toscanini

Naxos

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Auch live. Das gefällt mir. Für meinen Geschmack ein bisschen zu romantisch, aber es ist alles drin: schöne Bewegung, Harmonie, Polyphonie usw. Und sehr lebendig. Wer mag das sein? Keine Ahnung. Richter? Das überrascht mich. Eine schöne Überraschung. Mein Bild von Richters Rachmaninow war ein anderes. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Sergei Rachmaninow

Prelude A-Dur op. 32/9

Sviatoslav Richter

RCA Red Seal/Sony

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Das ist eine Studioaufnahme, an dieser Stelle hier scheitern alle. Es ist schon spielbar, aber mit viel Adrenalin geht man entweder auf Sicherheit und verliert dieses Ekstatische, oder man geht auf Risiko und scheitert. Diese Stelle ist einfach nicht gut geschrieben. Ich mag die Aufnahme. Das ist wunderbar gespielt. Es könnte Martha Argerich sein. Jedenfalls ein sehr guter Pianist. Michael Korstick? Nie gehört! (Im Laufe des Gesprächs nimmt Boris Berezovsky immer wieder das Cover in die Hand. Hinterher sagt er, diese Aufnahme hätte ihn am meisten beeindruckt. Da müsse er mal mit dem Macher eines großen Festivals, den er kennt, sprechen, der könne Korstick vielleicht mal einladen.)

Robert Schumann

Kreisleriana, 1. Satz

Michael Korstick

Oehms Classics/Naxos

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Da kommen nicht so viele Aufnahmen in Frage. In Deutschland spielt Severin von Eckardstein Medtner, aber ich glaube, diese Sonate hat er nie aufgenommen. Doch Severin? Sehr gut, ich mag ihn sehr, er ist ein exzellenter Pianist. Ich liebe Medtner. Medtner ist pianistisch extrem schwer. Rachmaninow ist in vielerlei Hinsicht leichter zu spielen. Dies ist eine Monster-Sonate, verrückt, schwerer geht’s nicht. Es ist faszinierend, wie viele Dinge da zur selben Zeit passieren. Aber vielleicht kann man das nur als Pianist genießen. Ich habe die Sonate einmal in St. Petersburg gespielt, das Publikum hat die Musik nicht verstanden, das muss man irgendwann akzeptieren. Medtner kennt auch in Russland kaum jemand.

Nikolai Medtner

Sonate op. 25/2

Severin von Eckardstein

MDG/Naxos

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(sofort) Oh Gott, das kann jeder sein. Es gibt so viele gute Pianisten, die das aufgenommen haben. Es sei denn, die Aufnahme hat etwas wirklich besonderes, aber das bezweifle ich. Jeder Pianist, der eine sehr gute Fingertechnik hat, kann dieses Stück gut spielen. Das Werk verlangt nur gute Finger und ein gutes Rhythmusgefühl, das ist alles. Das gilt für die ersten drei Prokofjew- Konzerte. Das vierte kenne ich nicht, das fünfte nehmen auch nur wenige auf. Ich spiele Prokofjew sehr gern, das macht viel Spaß und es ist großartige Musik, aber eben sehr geradeaus. Zumindest die Konzerte. Die werde ich nie aufnehmen. Es gibt so viele gute Aufnahmen. Natürlich versuche ich, in einer Aufnahme etwas Eigenes zu sagen, aber was kann man schon Neues sagen bei einem Stück, von dem es schon viele Aufnahmen gibt? Wenn ich das Gefühl habe, ich muss ein Stück wirklich aufnehmen, dann tue ich es. Prokofjew aufzunehmen finde ich nicht sinnvoll.

Sergei Prokofjew

Klavierkonzert Nr. 3 op. 26

Evgeny Kissin, Philharmonia Orchestra, Vladimir Ashkenazy

EMI

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Ein sehr guter Pianist, aber kein sehr bekannter. Ich kenne keinen, der das aufgenommen hätte. Ich mag Hindemith sehr. Ich mag seinen trockenen Humor. Seine Technik, seine Fugen usw., das ist ganz erstaunlich. Am besten erkennt man das im Ludus tonalis, das ist schlichtweg genial. Für mich ist Hindemith kompositionstechnisch auf einer Höhe mit Bach. Und dazu hat er, was Bach nicht hatte: Humor. Meine Liebe begann mit den Kammermusiken für verschiedene Besetzungen – das ist so tolle Musik! Hindemith ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte, definitiv. Populär ist er nicht, aber ich sehe keinen Sinn darin zu diskutieren, was populär sein sollte oder was interessant ist. Wir reden von persönlichen Erfahrungen. Musik muss mich packen, darum geht es. Ich spiele solche Stücke vor allem für mich. Ich erfreue mich dran, ich spiele sie, ich nehme sie auf. Ich kann ja nicht auf die Straße gehen und die Leute anquatschen, um sie von Hindemith zu überzeugen.

Paul Hindemith

Suite „1922“ für Klavier op. 26

Toros Can

L’empreinte digitale/Naxos

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(sofort) Marc-André Hamelin? Kapustin? Das wäre nichts für mich. Jazz muss improvisiert werden. Es gibt so viele großartige Jazzpianisten, warum muss man Jazzmusik komponieren? Das macht für mich keinen Sinn. Das ist für klassische Musiker, die Jazz spielen wollen, aber nicht improvisieren können. Das finde ich albern. Ich mag Jazz sehr. Aber nicht diese Art.

Nikolai Kapustin

Toccatina op. 36

Marc-André Hamelin

Hyperion/Note 1

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Arnt Cobbers, 31.05.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2014



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